Atomare Allianzen
Atome verbinden sich miteinander, um an Stabilität zu gewinnen. Die Natur kennt eine ganze Reihe solcher Allianzen, die unsere makroskopische Welt entstehen lassen. Eine erste Bindungsform haben wir bereits kennengelernt: Bei der Bildung von Salzen schlägt sich ein Elektron aus der Gruppe der Alkalimetalle auf die Seite der Halogene. Das Elektron wechselt dabei vollständig zu dem anderen Atom, so dass beide dadurch die energetisch optimale Edelgaskonfiguration erreichen. Verbindungen aus Metallen und Nichtmetallen sind daher ausgesprochen stabil. Der Tausch hat allerdings eine weitreichende Konsequenz: Das Chloratom verfügt nun über einen zusätzlichen negativen Ladungsträger, während umgekehrt Natrium mit einem Elektron weniger vorliebnehmen muss. Beide Atome sind für sich also nach außen hin nicht mehr elektrisch neutral; die Wanderlust der Elektronen hat aus ihnen Ionen gemacht.[i] Die elektrostatische Anziehung zwischen den beiden Ionen erklärt den außerordentlich festen Zusammenhalt des Salzkristalls.
Bei der Partnerwahl geht um Anziehungsvermögen
Beide Partner bringen jeweils eine unterschiedliche Mitgift in die Verbindung ein: Chlor ist mit 17 Protonen gewichtiger als Natrium, das lediglich 11 positive Ladungsträger beisteuern kann. Chlor hat somit ein relativ größeres Vermögen, Elektronen anzuziehen. Die Fähigkeit eines Elements anderen Elementen ihre Elektronen abspenstig machen zu können, wird durch die Elektronegativität zum Ausdruck gebracht.[ii] Diese dimensionslose Zahl beträgt für Natrium 0,9 und für Chlor 3,0. Aus der Differenz lässt sich der grundlegende Charakter einer chemischen Bindung bestimmen. In unserem Beispiel ist sie mit 2,1 relativ groß. Wenn ihr Betrag in etwa den Wert von 1,7 übersteigt, spricht man definitionsgemäß von einer Ionenbindung.
Das Na- und das Cl-Atom stellen innerhalb des Kochsalzmoleküls zwei Pole dar, die aufgrund der Negativitätsdifferenz zwischen den beiden Elementen unterschiedlich stark geladen sind. Kochsalz ist daher ein so genannter Dipol.
Und schon sind sie ein Paar…
Auch die nächste Bindungsform lässt sich anhand eines alltäglichen Stoffs erklären – er wird uns in Folge noch mehrmals beschäftigen: Wasser. Wasser ist die Allianz zweier unsichtbarer Gase. Sauerstoff, die erste Komponente, hat eine Elektronegativität von 3,5. Für den Bindungspartner Wasserstoff beträgt dieser Wert 2,1. Diesmal ist die Differenz mit 1,4 nicht groß genug, um die Elektronen vollständig entkommen zu lassen. Es entsteht daher eine Kooperation, die als Atombindung, Elektronenpaarbindung oder kovalente Bindung bezeichnet wird. Ein, zwei oder drei Valenzelektronen-Paare nutzen ein zwischen zwei Atomen liegendes Orbital gemeinsam und begründen so den Zusammenhalt des Moleküls. Atombindungen sind typisch für Nichtmetalle; oftmals handelt es sich um Gase, die den Koalitionspartner unter ihresgleichen suchen. Zwei Wasserstoffatome können ihre beiden einsamen Elektronen gemeinsam nutzen und sich so der optimalen Heliumkonfiguration immerhin annähern. Im Fall des Stickstoffs entstehen gleich drei solcher Paare. Da die Bindungspartner in diesen Fällen jeweils über die gleiche Protonenzahl verfügen, sind die Moleküle unpolar, das heißt, sie entfalten nach außen hin keine elektromagnetische Wirkung. Bei Kollisionen prallen sie daher wie Billardkugeln voneinander ab – genau das ist es, was Gase auszeichnet.
Metalle unter sich
So wie Metalle mit Nichtmetalle untereinander jeweils typische Bindungsformen aufweisen, gibt es auch einen Typus für rein metallische Zusammenschlüsse. Er wird naheliegenderweise als metallische Bindung bezeichnet. Während die Ionenbindung von einem absolutistischen Besitzanspruch geprägt ist und die Atombindung von Kooperation, ist die Metallbindung kollektivistisch. Die Elektronen sind hier gemeinsamer Besitz gleicher Atome, ähnlich wie Bad und Küche einer Wohngemeinschaft.
Metalle verlieren ihre Valenzelektronen aufgrund ihres schwachen Bindungsvermögens relativ leicht. Die losgelösten Ladungsträger schwirren anarchisch-frei als so genannte Elektronengaswolke zwischen der Gitterstruktur der Metall-Ionen. Diese Wolke ist es, die den Metallen ihren charakteristischen Glanz, ihre Leitfähigkeit für Wärme und Strom sowie ihre Verformbarkeit verleiht.[iii]
Nicht alle sind stark
Alle drei bisher betrachteten Bindungsarten sind „starke Bindungen“. Sie sichern den Zusammenhalt innerhalb eines Moleküls. Daneben gibt es auch Bindungsformen zwischen Molekülen. Sie sind allesamt relativ leicht wieder lösbar und werden daher als „schwache Bindungen“ bezeichnet. Auch sie lassen sich gut anhand des Wassers erklären, dessen außergewöhnliche Eigenschaften allesamt auf schwache Bindungsformen zurückgehen: Wasser bleibt innerhalb einer großen Temperaturspanne flüssig, ist ein hervorragendes Lösungsmittel und zieht sich im Gegensatz zu fast allen anderen Stoffen bei niedrigen Temperaturen nicht zusammen, sondern dehnt sich aus.
Wassermoleküle sind, wie Salze, aufgrund ihrer Ladungsasymmetrie Dipole und haben daher auf ihre Nachbarn eine elektromagnetische Wirkung. Dadurch werden Wasserstoffatome nicht nur durch eine Atombindung an das Sauerstoffatom des eigenen Moleküls gebunden, sondern gleichzeitig auch an das Sauerstoffatom des Nachbarmoleküls. Dieser lockere Zusammenschluss wird als Wasserstoffbrückenbindung bezeichnet.
Der wichtigste Stoff auf unserem Planeten
Durch die Brücken entsteht eine besondere räumliche Anordnung, die die Beweglichkeit der Moleküle ermöglicht und so sicherstellt, dass Wasser zwischen 0° und 100° Celsius flüssig bleibt. Zugleich schwächt diese spezielle Geometrie die elektrischen Ladungen anderer Stoffe stark ab. Das macht es polaren Verbindungen, wie Salzen, leicht, ihre Elektronen abzugeben. Dies ist die Ursache für die hervorragenden Lösungseigenschaften des Wassers. Unterhalb des Gefrierpunkts lassen Wasserstoffbrückenbindungen eine sechseckige Kristallstruktur entstehen, die mehr Platz beansprucht, als der flüssige Zustand. Dies ist der Grund für die so genannte „Dichteanomalie“ des Wassers. Sie bezeichnet das Phänomen, dass sich Wasser bei Kälte nicht zusammenzieht, sondern ausdehnt. Wir werden noch sehen, dass diese speziellen Eigenschaften eine zentrale Rolle bei der Entstehung des Lebens auf unserem Planeten gespielt haben.
Es gibt noch zwei weitere schwache Bindungsformen, die ebenfalls auf Dipolen basieren. Dipol-Dipol-Bindungen kommen ohne Beteiligung von Wasserstoff zustande und sind schwächer als die Wasserstoffbrücken. Noch schwächer sind Bindungen, die auf den Van-der-Waals-Kräften beruhen. Sie entstehen, wenn sich rein zufällig Elektronen an einer bestimmten Stelle im Orbital häufen. Es kommt dann zu einer Kettenreaktion, bei der die negativen Ladungsträger der Nachbarmoleküle fortgeschoben werden, so dass eine Bindung zum positiven Kern des Nachbarmoleküls entsteht. Van-der-Waals-Bindungen sind nicht besonders stabil; die Koalitionen zerfallen rasch, bilden sich aber ebenso schnell wieder neu.
Starke Bindungen (Intramolekular) | Schwache Bindungen (Intermolekular) |
Ionenbindung (Metall-Nichtmetall) | Wasserstoffbrückenbindung (Polar) |
Atombindung (Nichtmetall-Nichtmetall) | Dipol-Dipol-Bindung (Polar) |
Metallische Bindung (Metall-Metall) | Van-der-Waals-Bindung (Nichtpolar) |
Da die Van-der-Waals-Bindungen sehr schwach sind, werden sie zumeist von den Dipol-Bindungen polarer Moleküle überlagert. Ihre Wirkung entfalten sie somit bevorzugt in nichtpolaren Konstellationen, wie sie für Gase typisch sind. Bei extrem niedrigen Temperaturen, ab etwa -200° Celsius, verlangsamen sich die Teilchenbewegungen derart, dass die Van-der Wals-Kraft etwa Stickstoff- oder Sauerstoffmoleküle jeweils dauerhaft aneinander zu binden vermag, so dass sich die Gase dann verflüssigen.
Wer mehr wissen will:
Anmerkungen
[i] Von „Ion“ griechisch: „Der Wanderer“. Positiv geladene Ionen werden als Kationen, negativ geladene als Anionen bezeichnet.
[ii] Die Protonenanzahl ist die wichtigste Einflussgröße der Elektronegativität; daneben gibt es weitere Faktoren wie etwa den Atomdurchmesser.
[iii] Die metallische Bindung lässt sich durch das quantenmechanische Bändermodell erklären. Über dem Band, in dem sich die Valenzelektronen bewegen, befindet sich ein höherer Energiebereich, das so genannte Leitungsband. Wenn sich diese beiden Orbitale überlappen, können Elektronen aus dem Valenzband in das Leitungsband wechseln. Dort können sie sich frei zwischen den Atomen bewegen, was den Stoff zu einem elektrischen Leiter macht. Bei einem kleinen Abstand zwischen den Bändern können die Elektronen nur dann in das Leitungsband wechseln, wenn sie durch eine entsprechende Energiezufuhr dazu angeregt werden, wie dies etwa beim photoelektrischen Effekt geschieht; in diesem Fall spricht man von einem Halbleiter. Stoffe, bei denen eine Elektronenübertragung aufgrund eines zu großen Abstands zwischen den Bändern auch bei hoher Energiezufuhr nicht möglich ist, sind Isolatoren.
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