Fortsetzung von "Die Welt als Uhrwerk"
Pioniere des Lichts (Teil I)
Mitte des 17. Jahrhunderts begann das Licht die Neugier der Naturforscher zu erregen. Von der rätselhaften Erscheinung wusste man kaum mehr, als dass sie Voraussetzung für das Sehen und optische Phänomene wie Reflexion, Brechung oder Beugung war. 1676 bewies der Däne Ole Rømer erstmals, dass Licht sich nicht, wie man allgemein seit Aristoteles angenommen hatte, augenblicklich, sondern mit einer endlichen Geschwindigkeit ausbreitete. Rømer hatte festgestellt, dass die Verfinsterung der von Galilei entdeckten Jupitermonde früher eintrat, wenn sich die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne auf Jupiter zubewegte und später, wenn sie sich von ihm entfernte. Aus den Beobachtungsdaten errechnete der Niederländer Christiaan Huygens zwei Jahre später eine Lichtgeschwindigkeit von über 200.000 km/s.
Das größte Rätsel aber blieb die Frage, woraus das merkwürdige Medium eigentlich bestand. Newton ging wie selbstverständlich davon aus, dass auch Licht Materie ist. Widerspruch kam vom Huygens, der nicht nur in zahlreichen Wissensgebieten bewandert war, sondern darüber hinaus auch noch eine außerordentlich praktische Veranlagung hatte. Nachdem Antoni van Leeuwenhoek, der damals führende Konstrukteur optischer Instrumente, ihn in seine Kunst eingewiesen hatte, begann Huygens selbst Linsen zu schleifen und optische Geräte zu bauen. Die Beobachtungen, die er mit ihnen anstellte, führten ihn zu der Überzeugung, dass sich Licht wellenartig ausbreiten müsse, ähnlich den Wasserwellen, die entstehen, wenn man Steine in einen Tümpel wirft. Mit dieser Annahme ließen sich optische Phänomene, wie die Reflexion von Licht durch einen Spiegel oder Lichtbrechung durch ein Prisma, viel besser erklären als mit Newtons Teilchen-Theorie. Die Mehrheit der Naturphilosophen stellte sich in diesem Streit allerdings hinter den berühmten Engländer: Licht war Materie, die sich als linearer Strahl durch den Raum bewegte.
Materie oder Welle?
Diese Auffassung änderte sich schlagartig, als im Jahr 1802 der junge englische Augenarzt Thomas Young eines jener Experimente durchführte, die Wissenschaftsgeschichte schreiben sollten. Young sandte Lichtstrahlen durch zwei in einer Wand parallel angeordnete Spalten. An einer dahinter befindlichen zweiten Wand entstand dabei das gleiche Interferenzmuster, das auch Wasserwellen bei einer solchen Versuchsanordnung erzeugen. Ganz offenbar hatte Huygens doch recht gehabt: Licht hatte eine Wellennatur; es transportierte seine Energie nach den gleichen Regeln wie Erdbeben, Wasser oder Schall.
Wichtiger Beitrag eines amerikanischen Politikers
Ein anderes Kuriosum, das seit Mitte des 17. Jahrhundert das Interesse der Naturphilosophen erregte, war die Elektrizität. Der Begriff stammte von dem griechischen Wort für Bernstein, Elektron. Schon in der Antike hatte man beobachtet, dass Sandkörner auf rätselhafte Weise an dem fossilen Harz kleben blieben. Einer der Ersten, der sich systematisch mit elektrischen Phänomenen auseinandersetzte, war Benjamin Franklin (wir sind ihm bereits im vorletzten Blog in einem ganz anderen Zusammenhang begegnet). Der amerikanische Staatsmann und Verleger war auch ein bedeutender Naturforscher, der insbesondere als Erfinder des Blitzableiters in Erinnerung geblieben ist, einer einfachen Vorrichtung, die den Blitzen – einst Ausdruck göttlichen Zorns – den Schrecken nahm. Franklins Beitrag zu Erforschung der Elektrizität geht aber noch viel weiter. Er war einer der Ersten, die erkannten, dass die mächtigen Gewitterblitze am Himmel und die kleinen Funken der Elektrisiermaschinen, die damals in keinem Kuriositätenkabinett fehlen durften, Ausdruck ein und desselben Phänomens waren.
Franklin stellte eine Theorie auf, mit der sich beide Erscheinungen gleichermaßen erklären ließen. Die zentrale Idee war die Vorstellung einer „Ladung“. War die Ladung wie bei einem Buchhaltungskonto ausgeglichen, war das betrachtete Objekt elektrisch unauffällig. Wenn aber auf der Soll- oder Habenseite ein Ungleichgewicht entstanden war, stellten Blitze und Funken das Ladungs-Gleichgewicht schlagartig wieder her. Ursache der ungleichen Ladungsverteilung war nach Franklins Vorstellung ein Fluidum, ein flüssiges Medium, das von einem Körper in den anderen floss. Mit diesem plastischen Bild eines verborgenen, wasserähnlichen Stoffs prägte Franklin die Idee von bewegten elektrischen Ladungen als einem „fließenden Strom“.
Benannt wurde die Einheit für die Ladung allerdings nicht nach Franklin, sondern nach Charles Augustin de Coulomb, einen Franzosen, dem 1784 der nächste Erkenntnissprung gelang. In seinem Modell existierten zwei unterschiedliche Fluide, die jeweils eine positive und eine negative Ladungsart repräsentierten und die in elektrisierten Objekten miteinander rangen. Coulomb fand eine Formel für die Kraft, mit der sich die beiden unterschiedlichen Ladungsarten, „q1“ und „q2“, gegenseitig anziehen oder, im Fall gleicher Ladung, abstoßen. Diese Kraft ist proportional zum Produkt der Ladungsmengen und umgekehrt proportional zum Quadrat ihres Abstands „r“. Die Stärke der Kraft selbst wird durch die Konstante „kc“ zum Ausdruck gebracht. Die mathematische Formulierung des Coulombschen Gesetzes
zeigte eine frappierende Analogie mit Newtons Gravitationsformel. Gravitation und Elektrizität schienen ähnlichen Naturgesetzen zu gehorchen, mit dem kleinen, aber wichtigen Unterschied, dass im Gegensatz zur Schwerkraft die elektrischen Kräfte nicht nur anziehend, sondern auch abstoßend sein können.
Zuckende Froschschenkel
Etwa zur gleichen Zeit experimentierte der italienische Professor der Medizin Luigi Galvani mit abgetrennten Froschschenkeln. Dabei beobachtete er zufällig, dass die Schenkel zu zucken anfingen, wenn sie gleichzeitig mit zwei verschiedenen, untereinander verbundenen Metallen in Kontakt kamen. Unbeabsichtigt hatte Galvani einen Stromkreis geschlossen und dabei entdeckt, dass Elektrizität nicht nur in der toten Natur, sondern auch in Lebewesen floss. Die Entdeckung erregte in ganz Europa großes Aufsehen und zog eine Welle weiterer elektrischer Experimente nach sich. Ein Ergebnis dieser Galvanismus-Mode war die erste brauchbare Batterie, die Galvanis Landsmann Alessandro Volta um die Jahrhundertwende der Öffentlichkeit vorstellte. Napoleon Bonaparte, Erster Konsul der Französischen Republik, kam 1801 in den Genuss einer privaten Vorführung, die ihn so beeindruckte, dass er den Erfinder eine Pension gewährte und ihn später in den Adelsstand erhob.
Die „Voltasche Säule“ ermöglichte erstmals mittels chemischer Reaktionen von Säuren und Metallen einen Stromkreis dauerhaft mit elektrischer Energie zu versorgen. Der Ladungsaustausch erfolgte nun nicht mehr blitzartig und unkontrolliert, sondern als kontinuierlicher und dosierbarer Fluss. Das Zeitalter der Elektrodynamik hatte begonnen.[i] Batteriegespeiste Stromkreise öffneten das Tor zu neuen Experimentierformen. Bei einem dieser zahllosen Versuche entdeckte der dänische Physiker Hans Christian Ørsted um das Jahr 1820, dass fließender Strom ein weiteres Geheimnis barg, das niemandem zuvor aufgefallen war: Eine zufällig in der Nähe befindliche Magnetnadel begann in Richtung des Stromleiters auszuschlagen. Ganz offenbar waren die Kräfte, die in den heißen, von ätzender Batteriesäure alimentierten Drähten wirkten und jene, die den Seeleuten den Weg wiesen, miteinander verbunden. Fasziniert von dieser Nachricht begab sich der Franzose André-Marie Ampère auf die Suche. Dabei entdeckte er einen grundlegenden Zusammenhang: Je stärker der Strom floss, je mehr der geheimnisvollen Ladungsträger also in Bewegung waren, umso stärker war auch die magnetische Wirkung. 1826 fand Georg Simon Ohm, Sohn eines Schlossers aus Franken, eine Abhängigkeit zwischen der von Volta eingeführten Größe „Spannung“ und Ampères Begriff der „Stromstärke“: Wird die Spannung „U“ erhöht, so erhöht sich die Stromstärke „I“ im gleichen Maße. Der Quotient aus den beiden Größen, der Widerstand, „R“ bleibt somit stets gleich:
Die Eigenschaften des merkwürdigen Fluidums waren damit umfassend beschrieben. Wenn auch die Vorstellung von dem, was da floss, weiterhin vage blieb, war es nun offensichtlich, dass es zwischen einem Stromkreislauf und einem mechanischen Wasserkreislauf keinen grundlegenden Unterschied gab.
Beim Wasserkreislauf erzeugt eine Kraftquelle, etwa eine Pumpe, Druck und setzt so den Wasserfluss in Gang. Analog versetzt beim Stromkreis die Batterie als Spannungsquelle die Ladungsträger in Bewegung. Für einen Schwimmer sind Stromschnellen gefährlicher als ein breiter, gemächlicher Fluss. Entsprechend geht bei elektrischem Strom die Gefahr nicht von einer hohen Spannung, sondern von einer großen Stromstärke aus, also der Anzahl der fließenden Ladungsträger pro Zeiteinheit. Treibt das Wasser eine Turbine an, herrscht vor der Turbine ein höherer Druck als hinter ihr; das Druckgefälle setzt die Schaufeln in Bewegung. Die Schaufeln bieten dem Wasser Widerstand, es hat es somit schwerer durch das Rohr zu fließen. Genauso baut im Stromkreis eine Glühlampe durch ihren Widerstand einen höheren Elektronendruck auf, der die Lampe zum Leuchten bringt.
Die Pioniere des Lichts waren dem merkwürdigen Phänomen Strom ein großes Stück näher gekommen - auch er schien sich letztlich problemlos in die Welt der Newtonschen Mechanik einzufügen. Tatsächlich aber war man, wie wir im nächsten Physik-Blog sehen werden, vom Verständnis der wahren Natur der rätselhaften Kraft noch immer ziemlich weit entfernt.
Wer mehr wissen will:
Bildnachweise:
[i] Die künstliche Stromerzeugung hat seitdem eine bemerkenswerte Karriere erfahren. Während Voltas Säule nur eine einstellige Wattzahl geliefert haben dürfte, betrug die weltweite Stromproduktion im Jahr 2021 über 25.000 Terrawattstunden. (Ein Terrawatt sind 10^12 Watt.)
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