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Donald Trumps Voodoo-Ökonomie

Aktualisiert: 27. Mai

Donald Trumps Voodoo-Ökonomie

In meinem Blog geht es um Grundlagen des Weltverstehens. Ich bemühe mich hierfür die wichtigsten und einflussreichsten Welterklärungstheorien in elf Themengebieten so verständlich wie möglich darzustellen. In jedem zwölften Artikel, der Kategorie „Dies und Das“ verarbeite ich keine Auszüge aus meinem Buch, sondern versuche bestimmte kapitelübergreifende Themen aufzugreifen und Querverbindungen darzustellen.

Ich habe mich bisher – durchaus absichtlich – nicht mit aktuellen Themen befasst, denn ich möchte in erster Linie Modelle vorstellen, die uns helfen können, die Phänomene des Lebens und die Informationsflut um uns herum sinnvoll einzuordnen. Ich möchte diese selbst auferlegte Regel nun erstmalig brechen, weil mich persönlich – so wie viele andere Menschen auch – die aktuelle Präsidentschaft Donald Trumps sehr beschäftigt.  


Dabei soll ausschließlich die Zollpolitik des amerikanischen Präsidenten etwas beleuchtet werden, ein Thema, das uns wohl noch eine ganze Weile beschäftigen wird (am 23.05.2025 hat Trump seine Androhung von 50%igen Zöllen auf EU-Produkte noch einmal bekräftigt und die Börsen damit erneut auf Talfahrt geschickt.) Inwieweit lässt sich die Handelspolitik der Trump-Administration mit den gängigen ökonomischen Theorien in Einklang bringen? Und inwieweit können diese Theorien die Wirklichkeit erklären?


Trump und der chinesische Präsident Xi blicken sich herausfordernd an. Im Hintergrund ein dunkler Himmel
Wer gewinnt das Kräftemessen? Oder verlieren nicht eher alle?

 

Ein Blick zurück: Die Rolle des Außenhandels in der klassischen Nationalökonomie

In den Wirtschaftswissenschaften geht es letztlich immer nur um zwei Fragen: Wie kann die Gesamt-Wohlfahrt in einer Gesellschaft maximal gesteigert und wie soll der so erwirtschaftete Reichtum am besten verteilt werden? Der Begründer der modernen Wirtschaftswissenschaften ist der schottische Philosoph Adam Smith. Er beschrieb bereits 1776 in einem berühmten Beispiel anhand einer Stecknadelmanufaktur, wie Arbeitsteilung eine unfassbare Wohlstandsmehrung erzeugt.

Internationaler Handel ist letztlich nichts anderes als Arbeitsteilung. Nicht zwischen Menschen in einem Unternehmen, sondern zwischen Unternehmen, die in verschiedenen Ländern beheimatet sind. Smith beschreibt in seinem fundamentalen Werk Der Wohlstand der Nationen, dass es sinnvoll ist, Außenhandel zu betreiben, wenn ein anderes Land ein Gut mit weniger Arbeitseinsatz herstellen kann. Wenn also etwa Kleidung in China billiger als in den USA hergestellt werden kann, dann profitieren alle davon. Die Chinesen, weil sie einen Teil ihrer Wirtschaftsleistung aufgrund ihres Kostenvorteils exportieren können und die Amerikaner, weil sie weniger für Kleidung ausgeben müssen und damit mehr Geld für den Konsum anderer Güter zur Verfügung haben.


Ein weiterer Vertreter der klassischen Nationalökonomie hat diesen Gedanken weitergesponnen. In einem ebenfalls berühmten Beispiel zeigte David Ricardo, dass die internationale Arbeitsteilung selbst dann sinnvoll ist, wenn ein Land alle Güter billiger herstellen kann als sein Handelspartner, nämlich dann, wenn sich das produktivere Land auf die Güter konzentriert, bei denen es einen komparativen Vorteil hat. Ricardo erklärte das Anfang des 19. Jahrhunderts anhand eines Beispiels mit Portugal und England, die beide Tuch und Wein herstellen, allerdings zu unterschiedlichen Bedingungen (Das Beispiel wird hier ausführlich erklärt.)


Die Quintessenz der klassischen Nationalökonomie lautet kurz gefasst, dass internationale Arbeitsteilung Produktivitätsverbesserungen erzeugen, von denen letztlich alle beteiligten Nationen profitieren. 

 

Was will Trump?

Nach einer Aussage Trumps sind Zölle das viertschönste Wort überhaupt (nach Gott, Religion und Liebe). Folgende Ziele sind grundsätzlich denkbar, die Trump mit seiner Handelskriegserklärung vom 2. April 2025 – von ihm selbst als „Liberation Day“ bezeichnet – im Auge haben könnte:  


  • Rückholung von Industriearbeitsplätzen

  • Erhöhung der Staatseinnahmen durch Zölle

  • Autarkie der eigenen Wirtschaft

  • Verringerung des Handelsdefizits der USA

  • Demonstration politischer Handlungsfähigkeit gegenüber der eigenen Wählerschaft

  • Verhandlungsvorteile durch wirtschaftliche Hebel

  • Schwächung geopolitischer Rivalen durch wirtschaftlichen Druck

 

Betrachten wir jeden dieser Punkte kurz einzeln: 

 

Rückholung von Industriearbeitsplätzen.

Wenn aus dem Ausland importierte Waren sich durch Zölle massiv verteuern, so die Überlegung, wird es für inländisch Nachfrager natürlich attraktiver, mehr der nun relativ billiger gewordenen inländischen Produkte nachzufragen, was entsprechend die Schaffung neuer Arbeitsplätze in den USA nach sich ziehen würde. Es ist aber aus den folgenden Gründen sehr unwahrscheinlich, dass diese Rechnung aufgeht:


  • Unsere globalisierte Welt ist extrem arbeitsteilig. Es gibt kaum noch Produkte, die von A bis Z ausschließlich in einem Land hergestellt werden. US-Amerikanische Autos bestehen zu etwa 40% aus Komponenten, die aus dem Ausland bezogen werden. Werden diese mit Zöllen belegt, erhöhen sich dadurch automatisch auch die inländischen Herstellungskosten, was die Wettbewerbsfähigkeit entsprechend mindert. Und ist ein BMW aus Spartanburg oder ein Mercedes aus Chattanooga (beide werden auch in Europa verkauft) nun ein amerikanisches oder ein deutsches Auto?


  • Zölle schützen nicht die gesamte Volkswirtschaft, sondern immer nur bestimmte Branchen. Wenn etwa die wenig wettbewerbsfähige US- Stahlindustrie durch Zölle „geschützt“ werden soll, müssen alle Branchen, die Stahl verarbeiten, die teureren inländischen Produkte beziehen was wiederum ihre Produkte teurer macht.  


  • Selbst wenn es zu Rückverlagerungen von Produktion kommt, werden dadurch nicht automatisch Arbeitsplätze geschaffen. Die Herstellung einfacher Konsumgüter, deren Produktion in den letzten dreißig Jahren massiv nach Mexico und nach China verlegt wurde, können in den USA nur dann wettbewerbsfähig hergestellt werden, wenn die Produktion in hohem Maße automatisiert wird. Dazu benötigt man sicherlich einige hochqualifizierte Ingenieure – aber kaum Heerscharen von Arbeitern.


  • Kurzfristige Wirkung: die von Joseph Schumpeter beschriebene zerstörerische Kraft des Kapitalismus kann dadurch nicht aufgehalten werden. In Großbritannien haben die Gewerkschaften in den 1960er Jahren durchgesetzt, dass nach der Umstellung des Bahnbetriebs von Dampflokomotiven auf E-Loks die Heizer weiterhin mitfahren dürfen. Den technischen Fortschritt hat dies indes nicht angefochten. Sicherlich keine einfache Situation für die Stahlarbeiter des „Rust Belt“. Doch auch in diesem Fall lässt sich das Rad der Geschichte wohl kaum zurückdrehen.  


  • Weder aus Sicht der Spieltheorie noch im „richtigen Leben“ darf erwartet werden, dass das Verhängen von Zöllen durch den Importeur ohne Gegenmaßnahmen durch die Exporteure bleibt. China hat es vorgemacht und eben nicht, um den US-Präsidenten fast wörtlich zu zitieren, dessen „Allerwertesten“ geküsst, um weiter mit den USA Handel treiben zu dürfen (man verzeihe mir mein schlechtes Französisch). Die Gegenzölle erschweren den Export und kosten letztlich Arbeitsplätze in den USA.

 

Erhöhung der Staatseinnahmen durch Zölle

Das von Trump zitierte Vorbild ist sein Amtsvorgänger William McKinley (1843-1901). Als Kongressabgeordneter hatte dieser 1890 Zölle von 50% durchgesetzt und später als Präsident weitere Zollvorlagen des Kongresses gebilligt. Tatsächlich wurden damals rund die Hälfte des Bundeshaushalts durch Zolleinnahmen finanziert – allerdings nur deshalb, weil es noch keine Einkommenssteuer gab und der Staat keinerlei Sozialausgaben finanzieren musste. Die Vereinnahmung McKinleys hält also einer wirtschaftshistorischen Überprüfung nicht stand. Selbst wenn er durch Zölle seine Einnahmen steigert, wird Donald Trump damit rechnen müssen, dass durch geringere Profite US-amerikanischer Unternehmen die Gewerbesteuereinnahmen sinken werden. Dass sich damit die Einkommenssteuer abschaffen ließe, weil nun Ausländer den US-Staatshaushalt finanzieren, ist illusorisch.    

 

Autarkie der eigenen Wirtschaft

Die Corona-Pandemie hat geostrategische Verwundbarkeiten aufgezeigt, als etwa Deutschland feststellen musste, dass es nicht einmal einen Bruchteil seines plötzlichen Bedarfs an medizinischen Schutzmasken selbst herstellen konnte. Die US-Regierung könnte aus verständlichen Gründen versucht sein ebenfalls durch Rückverlagerungen sicherzustellen, dass für eine bestimmte Anzahl kritischer Produkte eine Autarkie erreicht wird. Die Vorteile dieser nationalen Resilienz könnte man als höheres Ziel werten, als die Nachteile durch die damit verbundenen höheren Konsumentenpreise. Doch die bereits erwähnte faktische globale Verflechtung der Produktionswege steht dem entgegen. Es ist außerordentlich schwer – letztlich faktisch unmöglich – alle Komponenten eines beliebigen, selbst einfachen Produkts unter eine rein nationale Kontrolle zu bekommen. Die definitiv bessere Option ist es, verlässliche Handelspartner zu haben.   

  

Reduktion des Handelsdefizits der USA

Offenbar ist Trump der Meinung, dass das Außenhandelsdefizit, welches die USA gegenüber vielen Handelspartnern haben, eine „Niederlage“ darstellt, einen „Deal“, bei dem die USA über den Tisch gezogen und ausgeplündert werden. Dies ist – mit Verlaub – eine äußerst merkwürdige Perspektive. Wenn ich im Supermarkt einkaufe, habe ich gegenüber dem Supermarkt ebenfalls ein Handelsdefizit – schließlich kauft mir der Supermarkt ja nichts ab. Hat er mich deshalb übers Ohr gehauen? Ich glaube nicht.


Die Argumentation ist auch aus einer anderen Perspektive fragwürdig. Die Güter, die in Deutschland, der Schweiz, Österreich oder einem beliebigen anderen exportierenden Land hergestellt werden, stehen der jeweils heimischen Ökonomie ja nicht mehr zu Verfügung. Sie stellen in diesem Sinne entgangene Konsummöglichkeiten für die Inländer des Exporteurs dar. Sollten diese sich deswegen übervorteilt fühlen?


Wenn ein Land mehr Güter importiert als exportiert, bedeutet das nicht, dass „Geld“ verloren geht. Das importierende Land blutet nicht aus oder verliert etwas, sondern bekommt dafür Gegenleistungen in Form von importierten Waren und Dienstleistungen, die durch Marktpreise validiert worden sind. Die USA haben eine negative Außenhandelsbilanz, weil Amerikaner insgesamt ausländische Güter stärker schätzen als heimische Produkte. Sie mögen dafür gute Gründe haben.  


Des Weiteren ist Trump als Immobilienfachwirt ganz offenbar auf den Gütermarkt fokussiert. Dass die USA gegenüber den meisten Industrienationen sowie einigen Schwellenländern wie China, Mexico und Vietnam ein Handelsdefizit haben ist Fakt. Ganz anders sieht die Situation aus, wenn man den Dienstleistungssektor betrachtet: Hier punkten die USA mit einem Außenhandelsüberschuss gegenüber vielen Ländern. Dies resultiert insbesondere aus der starken Position der USA in den Bereichen Tourismus, digitale Technologien und Finanzdienstleistungen. Zwar fallen die absoluten Zahlen gegenüber dem Güterverkehr insgesamt deutlich weniger ins Gewicht, doch hätte hier etwa die EU-einen ziemlich wirksamen Hebel, denn sie könnte schmerzhafte Gegenzölle auf amerikanische Dienstleistungen verhängen.        


Ein weiterer Aspekt der Erhöhung der zollinduzierten Kosten für Exporteure könnte sein, dass die inländischen Konkurrenten in den USA relativ einfach ihre Preise erhöhen und damit die Inflation anheizen. Wenn die Güter ausländischer Konkurrenten plötzlich 10%, 20% oder 50% mehr kosten wird es für die inländischen US-Wettbewerber relativ einfach sein ihre eigenen Preise um 5% zu erhöhen – Öl auf das Inflations-Feuer.  


Güter-Außenhandelsbilanz der USA für die wichtigsten Partner
Güter-Außenhandelsbilanz der USA für die wichtigsten Partner

 

Dienstleistungs-Außenhandelsbilanz der USA für die wichtigsten Partner
Dienstleistungs-Außenhandelsbilanz der USA für die wichtigsten Partner

Demonstration politischer Handlungsfähigkeit gegenüber der eigenen Wählerschaft

Hier geht es eher um einen psychologischen Effekt als um handfeste ökonomische Vor- oder Nachteile. Die öffentlich inszenierte Handelskriegserklärung mag auf den ersten Blick Tatkraft vermitteln. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit aber wird sich diese Form von Symbolpolitik für die allermeisten Amerikaner – gleich ob sie Trump gewählt haben oder nicht – aus den genannten Gründen als kontraproduktiv erweisen. Komplexe Sachverhalte werden auf einfache Narrative reduziert – die Gefahr, dass Trump seine Anhänger enttäuscht ist nicht zu unterschätzen. Wir werden es bei den Midterm Elections sehen.

 

Verhandlungsvorteile durch wirtschaftliche Hebel

Die Drohkulisse soll offenbar die Handelspartner einschüchtern. Doch nach anfänglicher Irritation zeigt sich, dass sich die allermeisten Handelspartner von diesem Aufplustern nicht sonderlich beeindrucken lassen. Zwar repräsentieren die USA nominal mehr als ein Viertel des globalen BIP, doch letztlich haben sie damit immer noch knapp 75% der Welt gegen sich. Mit das wichtigste Kapital, das eine Nation aufbauen kann, ist Vertrauen – genau dieses aber könnten die USA jetzt verspielen. Viele Handelspartner sind stark genug, sich auf eskalierende Handelskonflikte einzulassen. Eine Situation bei der alle – wie von Smith und Ricardo aufgezeigt – verlieren würden. Das wissen alle Beteiligten, der Grund warum die Trump-Administration bereits kurz nach dem „Liberation Day“ einen Rückzieher machen musste und die Zölle für 90 Tage aussetzte.

 

Schwächung geopolitischer Rivalen durch wirtschaftlichen Druck

Seit einiger Zeit bereits haben die USA China als größten geopolitischen Rivalen ausgemacht (das nominale BIP der USA betrug 2024 rund 29 Billionen US-Dollar; das von China knapp 19 Billionen US-Dollar – mit einer realen Wachstumsrate, die knapp das doppelte der Vereinigten Staaten beträgt.) Dass ein Handelskrieg den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas dauerhaft bremsen wird, ist kaum anzunehmen. Zwar setzen die US-Zölle China gewaltig unter Druck – China sucht derzeit bereits nach neuen Absatzmärkten – doch die Einführung der Zölle hat bereits auch in den USA zu steigenden Preisen geführt und damit die Inflation angeheizt. Ein Szenario bei dem – gemäß der 200 Jahre alten Erkenntnis der klassischen Nationalökonomie alle Beteiligten verlieren werden. Dass in diesem Zusammenhang auch der Rest der westlichen Welt als geopolitischer Rivale behandelt wird (und zudem auch noch einige Pinguine), dürfte die Situation der USA ebenfalls nicht dauerhaft stärken.

 

Fazit

Es ist zu befürchten, dass der amtierende Präsident der Vereinigten Staaten sowie seine Pferdeflüsterer grundlegende Erkenntnisse der ökonomischen Theorie nicht verinnerlicht haben: Falls er denkt, dass Zölle eine Steuer sind, die nur Ausländer bezahlen müssen, liegt er falsch. Freihandel macht alle Beteiligten grundsätzlich reicher. Zölle machen alle Beteiligten ärmer und hemmen den Fortschritt. Die Reaktion der Kapitalmärkte war diesbezüglich eindeutig und faktisch ist die US-Wirtschaft im ersten Quartal 2025 geschrumpft.


Ein Handelskrieg erzeugt letztlich nur Verlierer. Dass die USA mit diesem Ansatz reindustrialisiert werden können ist ausgesprochen unwahrscheinlich. Zwar empfinden zahlreiche Trump-Wähler dessen Zoll-Politik als Schutz ihrer Arbeitsplätze. Doch aktuellen Schätzungen zufolge bedeutet das Vorgehen der US-Regierung für eine typische amerikanische Mittelstandsfamilie auch einen jährlichen Kaufkraftverlust von rund 4000 US-Dollar.  

Der dramatischste Effekt aber ist der signifikante Vertrauensverlust, den die USA gerade durch das erratische Verhalten ihrer Regierung erleiden.


Die wichtigste Währung in internationalen Beziehungen ist Vertrauen. Genau dieses Kapital aber wird gerade systematisch verspielt. In einer zunehmend komplexen Welt brauchen wir keine einfachen Parolen, sondern ein besseres Verständnis der Zusammenhänge.

 

 

 

Wer mehr wissen will:

1 comentario


Danke! Wirklich viele wichtige Zusammenhänge schön auf den Punkt gebracht!

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