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Schopenhauer und Nietzsche in drei Minuten


Arthur Schopenhauer

Von Kant geht neben dem Idealismus noch eine weitere Traditionslinie aus. Sie beginnt mit Arthur Schopenhauer, ein Philosoph, der zumeist als Misanthrop, Pessimist, Frauenfeind und schwermütiger Einzelgänger charakterisiert wird. Im Gegensatz zu dem sehr umständlich formulierenden Hegel – den er im Übrigen zutiefst verachtete – war Schopenhauer aber auch ein brillanter Schriftsteller und Aphoristiker. Es spricht für das Selbstvertrauen des jungen, unbekannten Schopenhauer, dass er 1820 seine Vorlesungen an der Universität Berlin genau auf die Zeiten legte, zu denen auch Hegel las – allerdings mit dem Ergebnis, dass kaum jemand Schopenhauers Veranstaltungen besuchte.

Sein Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ veröffentlichte er 1819 im Alter von einunddreißig Jahren. Mit Vorstellung meint Schopenhauer die Wahrnehmungen, die uns unsere Sinnesorgane vermitteln. Sie sind der einzig mögliche Zugang zur Welt. „So lange wir uns rein anschauend verhalten, ist Alles klar, fest und gewiß.“[i] Erst wenn wir anfangen nachzudenken, kommen Irrtümer und Missverständnisse ins Spiel. Hier befindet sich der junge Philosoph noch weitgehend auf dem Grund des kantschen Idealismus.


farbige Portraitzeichnung Schopenhauers - dunkel Locken, Backenbart
Der junge Schopenhauer 1815

Der Wille zum Leben

Schopenhauers eigentliches Interesse aber gilt dem Willen. Wille bedeutet für ihn Wille zum Leben. Die unsterbliche Lebenskraft ist die Ursache aller Wirkungen. Nicht wir steuern ihn, sondern der Wille steuert uns. Hartnäckig sorgt er dafür, dass wir uns stets unbefriedigt und orientierungslos fühlen.


Portrait des alten Schopenhauers - weisses, wirres Haar, schmaler Mund
Schopenhauer 1855

Der Wille lässt den Menschen leiden, und zwar umso mehr, je intelligenter er ist. Genies – Schopenhauer dachte hier wohl auch an sich selbst – leiden daher am meisten; all ihr Wissen kann sie nicht von diesem Leid erlösen.


Es gibt nur wenige Möglichkeiten, den Zwängen dieser Tyrannis zu entkommen: Neben den Weisheiten der fernöstlichen Religionen, dem Hinduismus und insbesondere dem Buddhismus, sieht er allein die Kunst als wirkungsvollen Weg das Erkennen über das Wollen zu stellen. Mit Schopenhauer  hält das Irrationale, das Unbewusste und die Tragik der menschlichen Existenz Einzug in die Philosophie.





Friedrich Nietzsche

Schopenhauers unorthodoxe Gedanken sollten großen Eindruck auf einen jungen Altphilologen machen. Der aus einem kleinen Dorf in Anhalt stammende Friedrich Nietzsche wurde 1869 im Alter von nur 24 Jahren zum Professor für alte Sprachen an der Universität Basel berufen. Nur zehn Jahre später musste er seine Stelle aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. In dem folgenden Jahrzehnt lebte Nietzsche als freier Schriftsteller in verschiedenen europäischen Ländern bis 1889 eine schwere psychische Erkrankung jede weitere Arbeit unmöglich machte. Er starb 1900 in geistiger Umnachtung.

Nietzsches Frühwerk, „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ erschien 1872. Hier wird bereits die Grundidee seiner Philosophie deutlich: Die antike griechische Kultur sei keinesfalls, wie zumeist behauptet, von einem positiven Lebensgefühl geprägt gewesen, sondern vielmehr von andauernden Vernichtungskämpfen. Vor dieser tristen Wirklichkeit hätten die Griechen, so Nietzsche, in ihrer Mythologie Zuflucht gesucht, wobei insbesondere den beiden Göttern Dionysos und Apollo eine zentrale Rolle zukommt. Das Dionysische steht für den wilden, ungebändigten, triebhaften, oft auch grausamen Willen – Dionysos ist der Gott des Weins und des Wahnsinns.



Der Wille zur Macht

Doch anders als Schopenhauer interpretiert Nietzsche den Willen positiv: Das Dionysische zerstört, um auf den Trümmern etwas Neues, Besseres zu errichten. Es ist somit nicht nur die Quelle von Schrecken und Leid, sondern auch Ursprung aller ungehemmter Lust, Schönheit und Kunst. Die apollinische Gegenmacht aber möchte die Triebe in die Schranken weisen und die Welt nach festen Ordnungsprinzipien gestalten. Verbote und Moral sollen die Flügel des unheimlichen Chaos stutzen. Apollon steht für die Vernunft, den Mantel aus Kultur und Zivilisation, unter dem wir unsere Begierden zu verstecken suchen. In dieser Tradition stehen auch Platon und das Christentum. Für Nietzsche hat die Kirche „aus jedem Wert einen Unwert, aus jeder Wahrheit eine Lüge, aus jeder Rechtschaffenheit eine Seelen-Niedertracht gemacht".[ii] Dort, wo das Apollinische dominiert, wird alles Schöpferische erstickt und der Mensch verleugnet seine wahre Natur. Nietzsche proklamiert daher einen radikalen Egoismus: Nur wer seine Triebe auslebt und bewusst das damit verbundene Leid auf sich nimmt, kann die schöpferische Lust des Dionysischen erfahren.


Koloriertes Foto von Nietzsche von der Seite mit sehr imposantem Schnurrbart
Friedrich Nietzsche

Zwischen 1883 und 1885 erscheint in vier Bänden „Also sprach Zarathustra“. In diesem Werk, in dem sich die Grenzen von Dichtung, Philosophie und Theologie verwischen, verfolgt Nietzsche seinen Gedanken weiter. Die Entwicklung der Wissenschaften und die Säkularisierung der Welt haben den Menschen in eine Krise geführt. Der Sinn, den die abrahamitischen Religionen vermittelt haben, existiert nicht mehr. Die Verkündigung „Gott ist tot“ zwingt den Menschen seinem Sein selbst einen Sinn zu geben, um so der großen nihilistischen Leere zu entkommen. (Das vollständige Zitat lautet: „Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?“) [iii] 


Nietzsche als fliegender Superman
Der Übermensch

Dieser Sinn, den der Mensch selbst suchen muss, besteht darin, über sich selbst hinauszuwachsen, seinen freien Willen zu leben, sich dadurch zu einem neuen Menschen, dem „Übermenschen“ weiterzuentwickeln. Das dionysische Element, das diese Entwicklung antreibt, ist der unbedingte „Wille zur Macht“. Dank dieses Willens lassen sich Vernunft, Tugend, Passivität und Mittelmaß überwinden und die Fesseln der Kultur abschütteln, die allesamt unsere Selbstverwirklichung verhindern. Nur im Übermenschen kann sich die Lebenskraft ungehindert entfalten. Er ist „der Sinn der Erde“, dem alles zustrebt. Der heutige Mensch muss sich als Bindeglied zwischen dem Biest und jenem künftigen Übermenschen begreifen.

Betonskulptur von Nietzsche
Nietzsche Skulptur an seinem Grab in Röcken, Anhalt

Der neue Mensch erschafft sich selbst, indem er den alten Menschen mit Härte zerstört und unbeirrt und beseelt von Selbstliebe seine Ziele verfolgt.

Nietzsche propagiert damit eine radikale Abkehr von der leidenschaftslosen Vernunft, die die Philosophie seit Platon geprägt hatte. Weder Religion noch Wissenschaft oder Moral steht es zu, irgendwelche Wahrheiten zu verkünden. Es gibt kein Richtig oder Falsch, kein Gut oder Böse. Alle diesbezüglich aufgestellten Regeln sind nichts als die Meinungen ihrer Urheber. Der einzige Sinn des Lebens ist der, den wir ihm selbst geben. Dass der starke Mensch seinen Willen auf Kosten Schwächerer auslebt, ist vielleicht tragisch, letztlich aber in Nietzsches Vorstellung unvermeidlich. 

 

 

 

Wer mehr wissen will:

Schopenhauer, Arthur (2019): „Die Welt als Wille und Vorstellung“, Contumax.

Nietzsche, Friedrich Wilhelm (1883): „Also sprach Zarathustra“, Projekt Gutenberg-DE.

Nietzsche, Friedrich Wilhelm (1872): „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“, Projekt Gutenberg-DE.

Nietzsche, Friedrich Wilhelm (2000): „Der Antichrist“, Nikol.

Nietzsche, Friedrich Wilhelm (2000): „Die fröhliche Wissenschaft“, Reclam.

 

 

Fussnoten:

[i] Schopenhauer (2019) S. 42.

[ii] Nietzsche (2000) „Der Anitchrist“ Kapitel 62.

[iii] Nietzsche (2000) Reclam, Aphorismus 125.

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