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Anatomie der Atome: die Entdeckungsgeschichte der Quantenphysik (Teil 1)


 

Die Anatomie der Atome

Werner Heisenberg, ein erst 23-jähriger Dozent für theoretische Physik, hatte in der Abgeschiedenheit Helgolands viel Zeit. Auf der kleinen Nordseeinsel sollte er sich auf Anraten seiner Ärzte, im Mai 1925 von den quälenden Attacken seiner Heuschnupfenallergie erholen. Dank der reinen Luft konnte sich Heisenberg bald wieder konzentrieren. Er las Goethe und unternahm ausgedehnte Klettertouren in den Felsen. Und er hatte Zeit über Atome nachzudenken. Die Welt der allerkleinsten Maßstäbe schien ein eigenes Universum zu sein, das sich weder mit Newtons Analysis noch mit Einsteins abstrakter Geometrie vermessen ließ. Wie musste man sich die atomare Mechanik vorstellen, die die dingliche Welt entstehen lässt?


Portrait-Foto von Heisenberg mit warmen Farben verfremdet
Unscharf: Werner Heisenberg

In den vorangegangenen drei Jahrzehnten war deutlich geworden, dass das Atom noch immer zahlreiche Geheimnisse barg. 1896 war dem französischen Physiker Antoine Henri Becquerel aufgefallen, dass Uransalze eine rätselhafte Strahlung erzeugen, die so intensiv war, dass zufällig in der Nähe befindliche Fotoplatten durch sie belichtet wurden. Zwei Jahre später entdeckte das polnisch-französische Forscherehepaar Marie und Pierre Curie zwei neue Elemente, Polonium und Radium, die noch deutlicher als Uran die bis dahin unbekannte Eigenschaft zeigten. Die Physikergemeinschaft war ratlos. Nach dem bisherigen Verständnis konnten nur von außen kommende elektromagnetische Strahlen solche Veränderungen hervorrufen. Offenbar gab es aber noch eine weitere Form von Energie, die in den schweren Metallatomen selbst wohnte.

 

Coloriertes Foto von Marie Curie
Marie Curie: offizielles Nobelpreisfoto von 1911

Eine einfache Formel

Im Jahre 1900 machte der deutsche Physiker Max Planck die nächste merkwürdige Beobachtung. Wohlmeinende Professoren hatten seinerzeit dem musikalisch hochbegabten Abiturienten noch von der Physik abgeraten: Es gäbe hier nicht mehr viel zu entdecken, alle wesentlichen Zusammenhänge seien bereits bekannt. Dennoch entschied sich Planck gegen das Musikstudium. Nun, ein Vierteljahrhundert später, brütete er über einem thermodynamischen Phänomen, das der Physikergemeinschaft als Schwarzkörperproblem bekannt war: Bei einem heißen Stück Stahl, stieg die Strahlungsleistung immer weiter an, wenn das Metall von der Rotglut über die Gelbglut bis zur Weißglut erhitzt wurde. Ab einem bestimmten Punkt aber stagnierte die Strahlung und fiel danach sogar ab. Das widersprach allen bekannten Gesetzen der Physik. Eigentlich hätte der Körper irgendwann ultraviolett strahlen müssen und wäre damit für das menschliche Auge unsichtbar geworden.


Koloriertes Foto des jungen Planck mit Schnauzbat und wirren dunnklen Haaren
Brachte den Stein ins Rollen: Max Planck

Planck fand eine einfache Formel, die das von ihm beobachtete Farbenspiel exakt wiedergab: E =  h * f. Dieser Zusammenhang ist eine ebenso grundlegende Aussage über Energie, wie die fünf Jahre später aufgestellte einsteinsche Gleichung. Energie „E“ entspricht der Strahlungsfrequenz „f“ multipliziert mit einer Hilfsgrösse „h“, die die Proportionalität zwischen Energie und Lichtfrequenz herstellt. Planck wusste die Rolle der Hilfsgrösse zunächst nicht so recht zu deuten. Heute wissen wir, dass sie das „Plancksche Wirkungsquantum“ beschreibt, ein Produkt aus Energie und Zeit. Mit 6,626 10^-34 Joule pro Sekunde ist diese Naturkonstante die kleinste bekannte Wirkung überhaupt. In der einfachen Formel steckte eine Ungeheuerlichkeit: Sie bedeutete, dass Energie nur in diskreten „Paketen“ existiert, in Vielfachen der Einheit „h“. Damit war die alte, auf Aristoteles zurückgehende Vorstellung erschüttert, dass die Natur keine Sprünge macht, sondern ihre Größen nur stetig fließen lässt. Die Existenz von „h“ aber bedeutete, dass Energie aus einer Quelle tropft, wie Wasser aus einem Wasserhahn – und tropfen können eigentlich nur massebehaftete Teilchen, weshalb Planck diese Einheiten als „Quanten“ bezeichnete.


Der rätselhafte h-Faktor hatte in der Physikergemeinde ein höchst unbehagliches Gefühl zurückgelassen. Fünf Jahre später steigerte sich dieses Unwohlsein weiter. Denn Albert Einstein hatte im Jahr 1905, neben seiner Arbeit als Patentprüfer nicht nur die spezielle Relativitätstheorie entwickelt, sondern auch noch Zeit gefunden, sich mit einem weiteren merkwürdigen Phänomen zu beschäftigen, dem erstmals 1887 von Heinrich Hertz beschrieben photoelektrischen Effekt. Bestrahlt man eine Metallplatte mit Licht unterschiedlicher Frequenz, so zeigt sich, dass kurzwelliges blaues Licht in der Lage ist, Elektronen aus der Metalloberfläche herauszulösen und somit einen elektrischen Strom zu erzeugen. Mit langwelligerem, also energieärmeren rotem Licht ist dies aber nicht möglich, selbst wenn man die Intensität der Bestrahlung erhöht. Die Gerade, die in Einsteins Formel den frequenzabhängigen Zusammenhang darstellte, hatte genau die Steigung „h“. Plancks Wirkungsquantum war ein Teil des photoelektrischen Puzzles. Nun stand fest, dass Energie nicht nur in diskreten Paketen abgegeben, sondern auch aufgenommen wird. Der photoelektrische Effekt war letztlich nur erklärbar, wenn man den Lichtquanten Eigenschaften von Teilchen, also Materie, zuschreibt.[i]

 

Welle oder Teilchen?

Die allerkleinsten Maßstäbe der Physik waren offenbar bislang völlig unbekannten Spielregeln unterworfen: Mal verhielt sich Licht wie eine Masse und sprang von einem Zustand in den nächsten, mal agierte es wie eine masselose Welle. Es schien auf einmal, dass sowohl Huygens als auch Newton recht gehabt hatten: Licht war Welle und Teilchen zugleich! Der von Einstein entdeckte Dualismus war ein erster Schlüssel zum Verständnis der Quantenwelt. Was da unten geschah, war ebenso wenig vorstellbar, wie die verbogenen Räume der Relativitätstheorie. Die Doppelnatur der Quanten, ihr „Sowohl-als-Auch-Charakter“ war weder mit der alltäglichen menschlichen Entweder-Oder“-Wahrnehmung noch mit Newtons Mechanik in Einklang zu bringen.


Den merkwürdigen Dualismus der Photonen, wie die Lichtteilchen auch bezeichnet werden, macht eine moderne Variante des Youngschen Doppelspaltexperiments deutlich: Werden die Teilchen nacheinander durch den Doppelspalt geschossen, entsteht mit der Zeit ein Interferenzmuster – Ausdruck ihres Wellencharakters. Bringt man aber einen Sensor an, der misst, ob ein einzelnes Photon durch den linken oder den rechten Spalt fliegt, materialisiert sich der Zustand des Teilchens und es entsteht das für Materie typische Doppelspaltenmuster. Fast erscheinen die Teilchen menschlich: Sie verhalten sich unterschiedlich, je nachdem ob man sie beobachtet oder nicht.[ii]  

Graphische Darstellung des Doppelspaltexeriments: einmal mit und einmal ohne Interferenzmuster
Das Doppelspaltexperiment ohne Photonen-Messung (links) und mit Messung (rechts)

Der „Sowohl-als-auch-Charakter“ des Lichts war für den jungen Dänen Niels Bohr 1913 der Anstoß, eine entscheidende Erweiterung des rutherfordschen Atommodells vorzuschlagen. In Bohrs Vorstellung bewegten sich Elektronen auf unterschiedlichen, wohldefinierten Bahnen, die jeweils verschiedenen Energieniveaus entsprachen. Bohr bezeichnete sie als „Elektronenschalen“. Je weiter außen eine Schale liegt, desto höher das Energieniveau. Wie alle massebehafteten Teilchen sind auch Elektronen bestrebt, Energie abzugeben, um an Stabilität zu gewinnen. So wie eine in einer Schüssel rotierende Kugel dem Schüsselboden als dem Punkt mit der niedrigsten Lageenergie zustrebt, möchten sich auch die Elektronen stets auf einer möglichst niedrigen Bahn bewegen.

 

Foto von Bohr, in Rosttönen koloriert
Beschrieb den berühmten "Quantensprung": Nils Bohr

Quantensprünge

Trifft ein Lichtteilchen auf ein Elektron, erhält das Elektron dadurch einen Impuls, der es von einer energieärmeren Bahn auf eine höhere, energiereichere Schale katapultiert. Dabei kommt es zu einer folgenreichen Wechselwirkung: Das Elektron nimmt die Photonenenergie vollständig in sich auf, das Photon selbst wird dabei vernichtet. Das aus dem Gleichgewicht gebrachte Atom aber möchte die erhaltene Energie so rasch wie möglich wieder loswerden, um zu seinem stabilen Grundzustand zurückkehren zu können. Das Elektron stürzt auf die weiter innen liegende Umlaufbahn, dabei entsteht ein neues Photon. Das Licht wird mit der gleichen Frequenz und Energie emittiert, mit der es vorher absorbiert wurde – es enthält genau die Energiedifferenz zwischen dem kurzfristig erhöhten Zustand und dem Ausgangszustand. Dieser Vorgang ist der berühmte „Quantensprung“, wobei die Physiker heute lieber von „Übergängen“ sprechen. Fast nebenbei hatte Bohr mit seinem Atommodell auch eine quantenbasierte Theorie zur Entstehung elektromagnetischer Wellen geliefert. Später sollte sich zeigen, dass jedes chemische Element aufgrund von Zahl und Anordnung seiner Elektronen eine charakteristische Spektrallinie des Lichts emittiert, die es so eindeutig kennzeichnet wie ein Fingerabdruck.


Doch auch Bohrs Modell hatte noch immer eine entscheidende Schwäche: Es konnte nicht erklären, warum es überhaupt Atome gab. Nach allen Regeln der klassischen Physik müssten die negativen Elektronen eigentlich in den positiv geladenen Atomkern stürzen. Warum also fiel das Atom nicht einfach in sich zusammen? 

Foto der Steilküste von Helgoland
Bedeutsame Insel: Helgoland

Die Teilchen mehren sich

1917, ein Jahr nach Veröffentlichung der allgemeinen Relativitätstheorie, konnte Ernest Rutherford dem lückenhaften Bild vom Atom ein weiteres Puzzleteil hinzufügen. Er hatte im Atomkern das Proton entdeckt und damit den positiven Gegenspieler der Elektronenladung genau lokalisiert. Rasch wurde klar, dass die Anzahl der Protonen im Kern die chemische Identität des Atoms bestimmt. Rutherfords Messdaten legten zudem nahe, dass es im Kern noch eine weitere Teilchenart geben musste, die ebenfalls stark zur Masse beitrug, aber elektrisch neutral war.


Bis dahin hatten sich die Quantenphysiker vor allem mit dem Licht beschäftigt: Die Photonen hatten zwar keine Masse, verhielten sich aber dennoch wie Materie. Zudem hatte die Sonnenfinsternis von 1919 einen Zusammenhang zwischen der allgemeinen Relativitätstheorie und der Quantenphysik aufgezeigt: Auch Licht unterlag der Wirkung der Gravitation. 1924 stellte der französische Physiker Louis de Broglie dann die These auf, dass auch massebehaftete Teilchen, wie Elektronen und Protonen, demselben Welle-Teilchen-Dualismus unterliegen wie das Licht. So wie Energie Teilcheneigenschaften hatte, hatte Materie auch Wellencharakter! Langsam zeichnete sich ab, dass die Welt der Elementarteilchen und die Anatomie der Atome um einiges komplexer war, als sich irgendjemand bislang vorzustellen vermocht hatte.

(Fortsetzung folgt)

 

 

Wer mehr wissen will:

Zeilinger, Anton (2005): „Einsteins Schleier – Die neue Welt der Quantenphysik“, Goldmann.

 

 

Bildnachweise:


Anmerkungen:

[i] Für die Analyse des photoelektrischen Effekts erhielt Einstein 1921 den Nobelpreis für Physik (also nicht für die zu diesem Zeitpunkt noch nicht völlig etabliert Relativitätstheorie). Der photoelektrische Effekt bildet unter anderem die Grundlage der heutigen Photovoltaik, der Umwandlung von Licht in Strom.

[ii] Der österreichische Quantenphysiker Erwin Schrödinger hat in einem berühmten Gedankenexperiment illustriert, was es bedeuten würde, wenn die Quanteneffekte auch in unserer Makrowelt wirksam wären: Eine Katze wird in eine Kiste eingeschlossen. In der Kiste befinden sich außerdem ein radioaktives Atom, ein Hammer, ein Geigerzähler (benannt nach Hans Geiger) und eine Giftampulle. Wenn das Atom zerfällt, löst der Geigerzähler einen Hammerschlag aus, der die Giftampulle zerschlägt; das freigesetzte Gift tötet die Katze sofort. Die Halbwertzeit besagt, dass das Atom innerhalb einer Minute mit 50%iger Wahrscheinlichkeit zerfällt. Nach einer Minute beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass die Katze tot ist also 50%. Nach dieser Zeit wird das Experiment abgebrochen. Lebt die Katze in der Kiste oder ist sie tot? Solange man die Kiste nicht öffnet und nachschaut ist die Katze beides: halb lebendig und halb tot. Erst der Messprozess ändert diesen Zustand: Wenn wir nachschauen, finden wir entweder eine lebende oder eine tote Katze. Genauso befinden sich Quanten vor dem Messen in einem undefinierten Zustand, der erst durch die konkrete Messung geklärt werden kann.

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