Eine neue Religion
Als der Philosophenkaiser Marc Aurel sein Amt antrat, hatte das Römische Reich seinen Zenit bereits überschritten. In den folgenden dreihundert Jahren sollte der Druck auf das Imperium von Norden durch die Germanen und von Osten durch die Sassaniden stetig zunehmen. Im Reich selbst verbreiteten sich verschiedene, aus den unterworfenen Gebieten stammende orientalische Religionen. Von Bedeutung waren insbesondere der ägyptische Götterglaube, sowie der Mithras-Kult und der Manichäismus, die beide ursprünglich aus Persien stammten. Teilweise traten die neuen Religionen in Konkurrenz zu der griechisch-römischen Götterwelt, teilweise verschmolzen sie mit ihr.[i] Dauerhafter Erfolg sollte jedoch nur dem Christentum beschieden sein. Stifter dieses Glaubens war Jesus von Nazareth (ca. 7 v. Chr-ca.30 n. Chr.), ein jüdisch-aramäischer Wanderprediger, dessen Anhänger, allen voran Paulus von Tarsus, nach ihrer endgültigen Abspaltung vom Judentum den neuen Glauben in das römische Weltreich trugen.
Wie die Juden duldeten auch die Christen im Gegensatz zu den übrigen Religionen des Imperiums keine anderen Götter neben sich. Trotz anfänglicher Verfolgung gewann die neue Religion mehr und mehr an Einfluss. 337 hatte sich Kaiser Konstantin der Große auf seinem Totenbett taufen lassen.[ii] 380 erhoben Gratian und sein in Konstantinopel regierender Mitkaiser Theodosius I das Christentum zur Staatsreligion.
Zu Beginn des 5. Jahrhunderts drangen germanische Stämme in das Weströmische Reich ein, das daraufhin nach fast 1.200-jähriger Geschichte relativ rasch zerfiel. Das Mittelalter hatte begonnen.
Augustinus von Hippo: Glaube als Wissenschaft
Die philosophisch bedeutsamste Persönlichkeit der Übergangswirren am Ende der Antike ist Augustinus von Hippo. 354 im heutigen Algerien als Sohn eines römischen Landbesitzers und einer Berberin geboren, orientierte er sich in seiner Jugend zunächst am Manichäismus. Nach einem Studium der Rhetorik in Karthago, ging Augustinus 384 an den Hof des Kaisers Valentinian II nach Mailand. Die Lobreden, die er dort auf den Kaiser halten musste, führten ihn in eine Sinnkrise. Er wandte sich vom Manichäismus ab und ließ sich 387 taufen. Nach der Rückkehr in seine Heimat wurde Augustinus 396 Bischof der Stadt Hippo, ein Amt, das er bis zu seinem Tode im Jahr 430 bekleidete. Augustinus war Zeitzeuge der dramatischen Veränderungen, die mit dem Ende des Römischen Imperiums einhergingen. In dem Chaos, das den Niedergang begleitete, suchten viele Menschen Trost und Hoffnung in der christlichen Religion, die ein beständigeres Reich verhieß, ein Reich, das nicht von dieser Welt war.
Durch die Lektüre Ciceros hatte Augustinus die Philosophie entdeckt. Insbesondere Platon machte großen Eindruck auf den Kirchenvater. Ließ sich das christliche Denken eventuell mit den Traditionen der antiken griechischen Philosophie vereinen? Dass Augustinus sich solche Fragen überhaupt stellte, spricht für die Bedeutung, die dem philosophischen Erbe am Ende der Antike offenbar noch immer zukam. Dennoch stand für ihn fest, dass der christliche Alleinvertretungsanspruch für die Wahrheit der Philosophie lediglich die Rolle einer Dienerin zuerkennen konnte.
Augustinus‘ erstes bedeutsames Werk, seine sehr persönlich gehaltenen „Bekenntnisse“, atmen den Geist der platonischen Ideenlehre. Der Schöpfer der Urbilder, an die sich die unsterbliche menschliche Seele erinnert, ist nun der christliche Gott. Die Vereinigung von christlichem Glauben und Platons Philosophie sollte eine beachtliche ideengeschichtliche Wirkung entfalten.
Was ist Zeit?
Völlig neu und einzigartig sind Augustinus‘ Überlegungen zum Wesen der Zeit, die erstmalig Geschichtlichkeit und Einmaligkeit der menschlichen Existenz in den Fokus der Philosophie rücken. Die neue Perspektive wurde notwendig, da die in der Genesis beschriebene Erschaffung aus dem Nichts den Griechen und Römern fremd war – Materie und Zeit hatte es für sie schon immer gegeben. Für Augustinus aber ist die Zeit gemeinsam mit der Welt entstanden (eine Aussage, die sich, wie wir bereits gesehen haben, in völliger Übereinstimmung mit der modernen Physik befindet.) Gott selbst ist nicht in der Zeit; er schwebt über ihr und kann so ihren Strom von außen betrachten. Aus dieser Zeitlosigkeit entsteht Gottes Ewigkeit. Da er allwissend ist, ist ihm auch alles Vergangene und Zukünftige bekannt. Die Zeit selbst ist keine dingliche Erscheinung, sondern allein eine Projektion des menschlichen Geistes. Letztlich gibt es nur die Gegenwart. Die Gegenwart der Vergangenheit ist unsere Erinnerung; die Gegenwart des Gegenwärtigen ist der Augenblick; die Gegenwart des Zukünftigen sind unsere Erwartungen. „Was ist also die Zeit? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es, wenn ich es aber einem, der mich fragt, erklären sollte, weiß ich es nicht.“[iii] Mit seinem subjektiven Zeitbegriff hat Augustinus die Philosophie um einen bemerkenswerten Gedanken bereichert.[iv]
Die folgenreiche Prädestinationslehre
In seinem Bemühen um eine philosophische Rechtfertigung des Glaubens ist der Bischof fast zwangsläufig auch mit dem Theodizee-Problem konfrontiert. Es geht um die Frage, warum ein allmächtiger Gott das Böse zulässt. Dessen Ursprung liegt für den Kirchenvater im Sündenfall. Die Schuld, die Adam und Eva auf sich geladen haben, wird seitdem an jede Generation vererbt und macht die Menschen anfällig für das Übel. Das Böse hat dabei selbst keine eigenständige Existenz, sondern ist die Abwesenheit des Guten, geboren aus Hochmut und Unglaube. Da Gott uns mit einem freien Willen ausgestattet hat, kann das Böse nur existieren, weil wir uns entscheiden, es zuzulassen. Hätte Gott uns diese Verantwortung nicht übertragen, wären wir auch nicht wirklich frei.
Diese Entscheidungsfreiheit spielt auch eine zentrale Rolle in Augustinus‘ zweitem bekannten Buch „Vom Gottesstaat“. Es entstand unter dem Einfluss der Plünderung Roms durch die Goten im Jahre 410. Das traumatische Ereignis, Ende aller bekannten Ordnung, ließ die Christen im Römischen Imperium an der baldigen Errichtung des von Jesus verkündeten Reiches zweifeln. Der „Gottesstaat“ möchte die verunsicherten Christen beruhigen. Es ist das erste Buch, das eine umfassende Geschichtstheorie entwirft. Die Geschichte der Menschheit ist der Konflikt zwischen zwei Lebensentwürfen: Im irdischen Staat führen die Menschen ein lasterhaftes Leben. Dem gegenüber steht das Reich Gottes – eine Gemeinschaft von Auserwählten, die nach den Geboten des Schöpfers lebt und daher einst in das Himmlische Jerusalem einziehen wird.
Doch für Augustinus ist der irdische Staat nicht nur böse. Die Mächte des Guten greifen direkt in seine Geschicke ein und kämpfen erbittert um das Heil eines jeden Menschen gegen jene diabolischen Kräfte, die die Sterblichen mit vergänglichen Freuden in die Verdammnis locken wollen. Doch obwohl ein jeder die Freiheit hat, sich für Gut oder Böse zu entscheiden, ist sein Schicksal schon vorherbestimmt. Als allwissendes, außerhalb der Zeit stehendes Wesen, weiß Gott längst, wie sich jeder Einzelne auf seinem Lebensweg entscheiden wird – er kennt die Seinen bereits. Die Menschheit zerfällt daher in zwei Gruppen, die Verdammten und die Erlösten, wobei niemand vor dem Jüngsten Gericht wissen kann, zu welcher Partei er gehört. Die Weltgeschichte wird dadurch zu einem durch göttliche Vorsehung vorherbestimmten Drama, an dessen Ende der Sieg des Guten steht. Das Reich Gottes auf Erden ist das Ziel der Menschheitsgeschichte. Die Kirche ist dabei das irdische Instrument, um den göttlichen Willen zu vollstrecken.
Die Araber bewahren Aristoteles vor dem Vergessen
Augustinus‘ Schriften gaben dem abendländischen Denken für die nächsten 1.000 Jahre die Richtung vor – seine Prädestinationslehre wirkte sogar noch weit darüber hinaus.[v] Während der dunklen Jahrhunderte, die dem Zerfall des Römischen Reiches folgten, gingen viele der alten Schriften in den Wirren der Völkerwanderung für die westliche Welt zunächst verloren.[vi] So wurde es in den folgenden 600 Jahren still um die westliche Philosophie.
Um das Jahr 613 begann der Prophet Mohammed auf der arabischen Halbinsel eine neue Offenbarungsreligion zu predigen, die sich auf denselben Gott berief, wie Juden und Christen. Sein Glaube fand rasante Verbreitung. Bereits um das Jahr 750 reichte der Einfluss des Islam von Afghanistan über ganz Nordafrika bis zu den Pyrenäen. Auf ihren Eroberungszügen hatten die Araber Teile der antiken Hinterlassenschaft entdeckt und ins Arabische übersetzt, darunter auch viele der im Westen verschollenen Werke des Aristoteles. Diese Funde sollten die islamische und jüdische Philosophie der kommenden Jahrhunderte maßgeblich beeinflussen.
Die Scholastik: Gottesbeweis und Universalienstreit
Erst gegen Ende des 11. Jahrhunderts regten sich mit der Scholastik auch im Westen wieder neue philosophische Ideen. Seinen Namen verdankte das neue Denken den klösterlichen Lateinschulen, die die Tradition des augustinischen Platonismus weiter gepflegt hatten. Die Streitgespräche unter den gelehrten Mönchen widmeten sich neben der Theologie nun zunehmend auch wieder rein philosophischen Themen wie Logik und Ethik. Als Begründer der Scholastik gilt Anselm von Canterbury, ein 1033 in Aosta geborener Italiener, der, nachdem er viele Jahre in einer nordfranzösischen Benediktinerabtei verbracht hatte, im Zuge der normannischen Eroberung Englands Erzbischof wurde – ein außerordentliche europäische Karriere.
Anselm ist bekannt für seinen ontologischen Gottesbeweis, den Versuch, die Existenz des Allmächtigen auch logisch zu belegen. Seine Argumentation beginnt mit der Gegenthese: Gott existiert als Wesen, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, lediglich in der menschlichen Vorstellung. Ein Wesen, das hingegen auch real existiert, wäre einem solch rein imaginären Wesen allerdings überlegen und somit größer. Nur der real existierende Gott erfüllt die Bedingung, dass über ihn hinaus nichts Größeres gedacht werden kann – Gott muss folglich existieren, denn nur so ist er ohne Widerspruch denkbar. Es sollten rund 700 Jahre vergehen, bis Immanuel Kant diese abenteuerliche Beweisführung widerlegen würde.
Anselm von Canterbury bezog auch Stellung im größten und wichtigsten scholastischen Disput des Mittelalters, dem Universalienstreit. Dabei geht es um die Frage, ob Universalien, das heißt allgemeinen Begriffen, wie „Baum“ oder „Mensch“ eine eigene ontologische Existenz zukommt. Anselm befindet sich bei diesem Streit im Lager der Realisten. Die Realisten, in der Tradition der platonischen Ideenlehre, sind von der realen Existenz abstrakter Begriffe überzeugt. Es gibt „den Baum“ oder „den Menschen“ als von Gott erschaffene Idee. Für das gegnerische Lager, die Nominalisten, war das Unfug. Für sie sind solche Gattungsbegriffe menschengemachte, veränderliche Konstrukte, die vielleicht helfen, die Welt zu ordnen; in keinem Fall aber kommt ihnen eine eigene Wesenheit zu. Existieren können nur einzelne Tannen, Fichten, Eichen, Buchen oder menschliche Individuen. Die Kontroverse mag aus heutiger Sicht seltsam erscheinen, doch tatsächlich ging es um etwas sehr Grundlegendes: Für die Realisten ist die Existenz von Universalien – ganz im Sinne von Platon und Augustinus – Ausdruck einer unumstößlichen göttlichen Ordnung. Die Nominalisten aber stellen absolute Gewissheiten und unantastbare Dogmen grundsätzlich infrage – eine entscheidende Voraussetzung für modernes wissenschaftliches Denken.
Eine messerscharfe Logik
Nominalist war auch der um 1287 geborene Franziskaner Wilhelm von Ockham. Der Geistliche, dessen standhafte Verteidigung des von Franz von Assisi verkündeten Armutsideals seines Ordens vom Papst mit der Exkommunikation bestraft wurde, ist philosophiegeschichtlich vor allem für seine Forderung bekannt, bei der Bildung von Theorien nicht mehr Annahmen zu treffen als unbedingt notwendig. Von allen möglichen Erklärungen für einen Sachverhalt, ist stets die einfachste die beste – eine Regel, die später als „Ockhams Rasiermesser“ bekannt werden sollte. Zusammen mit seinem rund 70 Jahre zuvor geborenen Ordensbruder Roger Bacon, ist Wilhelm einer der frühesten Verfechter experimenteller Methoden und Repräsentant eines neuen Denkens, in dem ein wachsendes Interesse an naturphilosophischen Fragen und empirischer Forschung zum Ausdruck kommt.
Thomas von Aquin gelingt ein Kunststück
Mit der europäischen Wiederentdeckung der aristotelischen Schriften, die islamische Gelehrte über die Jahrhunderte bewahrt hatten, begann der Einfluss des seit Augustinus vorherrschenden christlichen Platonismus in der Philosophie zu schwinden. Problematisch war allerdings, dass sich Aristoteles‘ Werk nur ungleich schwerer christlich einkleiden ließ als die Lehre seines Meisters – schließlich hatte sich der stark an Naturwissenschaften interessierte Philosoph, mit Ausnahme seines unbewegten Erstbewegers, kaum zu theologischen und transzendentalen Fragen geäußert.[vii]
Thomas von Aquin, einem italienischen Dominikanermönch, der von 1225 bis 1274 lebte, gelang das Kunststück, das aristotelische Weltbild mit dem christlichen Glauben zu versöhnen. Nicht zuletzt deshalb gilt er als der neben Augustinus bedeutendste Philosoph des Mittelalters. Anders als seine Vorgänger stellte Thomas die Ideen der antiken Denker nicht unter theologische Vormundschaft, sondern räumte ihnen einen gleichberechtigten Platz ein: Gott hat den Menschen mit einem Verstand ausgestattet, der dem Geist Gottes ähnlich ist. Der Mensch ist daher auch in der Lage, mit Hilfe der Philosophie die Gedanken des Schöpfers nachzuvollziehen.
In Anlehnung an Aristoteles‘ Naturlehre beschreibt Thomas die Hierarchie des Seins: Zuunterst befinden sich die toten Dinge. Sie sind reiner Stoff, dem die Form gleichsam von außen aufgedrückt wurde. Darüber stehen die Pflanzen. Sie leben, doch sie verfügen über keine Sinne. Die Tiere stehen deshalb über den Pflanzen. Der Mensch wiederum steht über den Tieren, denn er ist, anders als diese, mit einer vernunftbegabten und unsterblichen Seele ausgestattet. Über den Menschen finden sich die Engel. Als reine Geisteswesen sind sie von der Last alles Körperlichen befreit und zudem mit einem rascheren Verstand als dem der Menschen ausgestattet. Doch auch sie wurden erschaffen und sind daher nicht vollkommen. An der Spitze von Thomas‘ ontologischer Pyramide thront Gott allein; ein reines, vollkommenes Geisteswesen, das nicht erschaffen wurde, sondern schon immer war.
Nach Thomas‘ Überzeugung wird nur ein Teil der Wahrheit durch den Glauben offenbart, der andere Teil erschließt sich uns durch den Verstand. Die beiden Pfeiler der Wahrheit stehen in vielfacher Beziehung zueinander. Das möchte der Dominikaner mit seinen fünf Gottesbeweisen zeigen, die er in seinem Hauptwerk, der „Summa theologiae“, aufführt.[viii] Die ersten beiden Beweise ähneln sich sehr und gehen unmittelbar auf Aristoteles zurück. Demnach muss am Anfang der Kausalkette aller Bewegungen, die wir im Universum beobachten, ein ursprünglicher Impulsgeber gestanden haben. Dieser Erstbeweger ist Gott. Und da, so der zweite Beweis, nichts ohne Grund geschieht, muss es am Anfang eine ursprüngliche Wirkursache gegeben haben. Auch diese erste Ursache nennen wir Gott.
Da alles, was ist, auch vergeht, so der dritte Beweis, muss folglich das „Sein“ auch nicht zwingend existieren. Es muss daher ein unvergängliches Lebewesen geben, das rein aus sich heraus notwendig ist und das den vergänglichen Dingen ihr Sein geschenkt hat. Dieses absolute Wesen ist Gott.
Der vierten Argumentation liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die Dinge, die wir in der Welt vorfinden, von unterschiedlicher Qualität sind. Sie lassen sich daher hierarchisieren, also etwa als gut und besser oder wahr und wahrer einstufen. Derlei Hierarchien bedingen aber, dass es etwas geben muss, was am „besten“ oder „wahrsten“ ist, einen absoluten Maßstab, ohne den eine Abstufung nicht möglich wäre. Dieser höchste Maßstab aller Dinge ist Gott.
Der fünfte und letzte Beweis unterscheidet sich von den bisherigen. Die ersten vier schließen als „kosmologische Beweise“ allesamt von der Welt auf Gott. Der fünfte Beweis argumentiert hingegen teleologisch, das heißt, er orientiert sich an einem Zweck. Dinge, wie etwa der Pfeil eines Bogenschützen oder das von einem Steuermann gelenkte Schiff, haben weder Seele noch Intelligenz. Dennoch erfüllen sie ihre Aufgabe. Folglich muss es nach Thomas ein absolutes Wesen geben, das den geistlosen Dingen ihre Zweckdienlichkeit verliehen hat und sie lenkt. Dieser intelligente, ordnende Weltgeist ist Gott.
Thomas hatte nicht die Absicht, die Existenz des persönlichen christlichen Gottes zu beweisen. Dieser kann nicht durch die Vernunft, sondern nur durch Glaube und Offenbarung verstanden werden. Seine Fundamentaltheologie möchte vielmehr zeigen, dass Gottes Existenz nicht widernatürlich ist und dass wir vernünftig annehmen dürfen, dass es ein höchstes Wesen gibt.[ix]
Mit Thomas von Aquin begann die Philosophie die Klosterstuben wieder zu verlassen. Überall in Europa entstanden Universitäten an denen Aristoteles’ Logik Grundlagenfach wurde – eines der zahlreichen Anzeichen eines heraufziehenden, folgenreichen Umbruchs.
Wer mehr wissen will:
Augustinus, Aurelius (1888): „Bekenntnisse” (Confessiones), Reclam.
Augustinus, Aurelius (1911): „Über den Gottesstaat” (De civitate Dei), Bibliothek der Kirchenväter.
Weischedel, Wilhelm (2008) „Die philosophische Hintertreppe“, Nymphenburger.
Dahlheim, Werner (2014) „Die Welt zur Zeit Jesu”, Beck.
Bildnachweise:
[i] Vgl. Dahlheim (2014) S. 328 ff.
[ii] Damals herrschte die Vorstellung, dass es nur eine einzige Sündenvergebung gibt, die sich durch die Taufe vollzieht. Offenbar wollte Konstantin ganz sicher gehen.
[iii] Augustinus (1888) Buch XI, 14.Kapitel.
[iv] Vgl. Russell (2012) S. 366 f. und Safranski (2015), S. 52.
[v] Vgl. Russell (2012) S.317. Die orthodoxen Kirchen im Osten Europas folgten der augustinischen Lehre allerdings nicht und lehnen die Prädestinationslehre bis heute ab.
[vi] Vgl. Dahlheim (2014) S.433.
[vii] Vgl. Weischedel (2008) S.112 ff.
[viii] Die Beweise gehen nicht ursprünglich auf Thomas von Aquin zurück; er hat sie lediglich zusammengetragen und auf einprägsame Art neu formuliert.
[ix] Diese Lehre prägt die Doktrin der katholischen Kirche bis heute. Demnach kann naturwissenschaftliche Erkenntnis zwar durch rationales Denken erlangt werden; die Dogmen der Kirche, wie die Dreieinigkeit oder die Auferstehung Jesu, aber erschließen sich uns nicht durch die Vernunft, sondern bedürfen des Glaubens und göttlicher Offenbarung.
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