Eine neue Menschenart erobert die Welt
Vor 300.000 Jahren leben alle Angehörigen der neuen Menschart Homo sapiens in Afrika in kleinen, miteinander eng verwandten Gruppen von Jägern und Sammlern. Zu diesem Zeitpunkt ist Sapiens noch nicht der einzige Vertreter seiner Gattung. Weitere Homo-Arten, etwa der Neandertaler, der Homo floresiensis oder der Denisova-Mensch, streifen in Eurasien umher. Wie zuvor Erectus verlässt auch Sapiens den angestammten afrikanischen Kontinent. Die kleine Gruppe von möglicherweise nicht mehr als 10.000 Menschen, die vor weniger als 100.000 Jahren in den Nahen Osten vorstößt, umfasst die Mütter und Väter aller nichtafrikanischen Ethnien. Europäer, Asiaten, australische und amerikanische Ureinwohner sind daher bis heute genetisch viel enger miteinander verwandt, als Afrikaner untereinander.
Die Auswanderer folgen umherziehenden Wildtierherden und zerstreuen sich daher schon bald in alle Winde. So gelangen sie vor 70.000 Jahren nach Südasien und vor 50.000 Jahren nach Australien. Vor ca. 45.000 Jahren erreicht Sapiens das eiszeitliche Europa, wo er auf einen anderen Nachfahren des Erectus trifft. Der Neandertaler ist wahrscheinlich ebenfalls in der Lage zu sprechen und abstrakte Symbole zu gebrauchen. Doch schon bald nach dieser Begegnung verschwindet der Cousin. Hat der moderne Mensch ihn aus dem gemeinsamen Lebensraum verdrängt? Hat er ihn gar absichtsvoll ausgerottet? Oder hat das Verschwinden des Homo neanderthalensis nichts mit der Ankunft der neuen Menschenart zu tun? Niemand weiß es. Allerdings müssen sich die beiden Arten auch sehr nahegekommen sein, denn heute tragen alle Eurasier zwei bis vier Prozent Neandertaler-Gene in ihrem Erbgut.
Da für den Menschen nur wenige Pflanzen und Tiere essbar sind – seine Fähigkeit die komplexen Glukosemoleküle der Blätter zu verdauen, hat er im Laufe der Evolution verloren – ist er meist auf der Suche; nur selten findet er Orte, an denen er länger verweilen kann. Vor 20.000 Jahren werden Wölfe die ersten tierischen Gefährten des Menschen. Über viele Generationen hinweg domestiziert er sie zu Hunden und greift damit erstmals direkt in die biologische Evolution ein. Die kleinen isolierten Nomadengruppen sprechen schon bald tausende völlig verschiedene Sprachen. In den nördlichen Breiten hellt sich die Haut der Menschen nach und nach auf – ein evolutionärer Vorteil bei der lichtabhängigen Synthese von Vitamin D.
Vor etwa 15.000 Jahren gelangen Nomaden von Sibirien über eine eiszeitliche Landbrücke auf den amerikanischen Kontinent. In wenigen Jahrtausenden durchqueren sie die riesige Landmasse bis zu ihrer Südspitze. Neben einigen Nagetierarten ist der Mensch nun die einzige höhere Spezies, die auf der ganzen Welt heimisch ist.
Im Schweiße deines Angesichts
Bald nachdem die ersten Menschen Amerika betreten, geht plötzlich die Eiszeit zu Ende. 100.000 Jahre lang hatte sie die nördliche Halbkugel in ihrem frostigen Griff. Die neue Warmzeit, das Holozän, verbessert die Lebensumstände in Eurasien drastisch. Insbesondere in einem halbmondförmigen Bogen, der sich vom Nil über Anatolien bis zum Norden des Persischen Golfs spannt, sorgt ein mildes und hinreichend feuchtes Klima für hervorragende Lebensbedingungen; im Mündungsdelta der beiden Ströme Euphrat und Tigris sind sie geradezu paradiesisch. Vielleicht liegt hier der Garten Eden, von dem die Bibel später berichten wird.
Im Fruchtbaren Halbmond können sich die Jäger und Sammler aus einer üppigen Natur bedienen. Die Bevölkerung wächst, auf einmal wird es eng im Paradies. Einige der hier sprießenden Süßgräser haben die Nomaden bereits seit langem auf dem Speiseplan. Ihre Samen lassen sich gut aufbewahren und in zerriebenem Zustand zu Fladen backen. Das Wildgetreide belohnt jede für das Sammeln eingesetzte Kalorie mit der Rückgabe der 50-fachen Energiemenge. Was liegt näher, als die Gräser gezielt an Ort und Stelle wachsen zu lassen, anstatt sie mühsam in der Wildnis zu suchen? Die wilden Weizenarten Emmer und Einkorn, sowie Gerste, erweisen sich als besonders geeignet für den Anbau. Die Menschen verschaffen ihnen Raum und sorgen durch gezielte Auslese dafür, dass sich nur die ertragreichsten Pflanzen vermehren. Ein weiterer glücklicher Umstand will, dass in der Region einige große Säugetierarten leben, die sich ebenfalls für eine Domestizierung eignen. Aus friedlichen Auerochsen und gutmütigen Mufflons werden mit der Zeit Hausrinder und Schafe.
Mit der Neolithischen Revolution, den neuen Methoden, Ressourcen aus der Natur zu extrahieren, die sich vor 12.000 Jahren nach und nach etablieren, beginnt die Jungsteinzeit. Der Übergang vollzieht sich nicht von heute auf morgen; er ist keine bewusste Entscheidung, sondern ein allmähliches, jahrtausendelanges Hineingleiten in eine neue Lebensweise. Während sie weiterhin jagen und sammeln, experimentieren die Menschen mit Pflanzen und Nutztieren. Erstmals lassen sich so Gemeinschaften von mehr als einigen Dutzend Menschen ernähren und erstmals trennen sich damit auch die Wege menschlicher Gesellschaften. Die zunächst noch kleine Minderheit, die die neue Lebensweise annimmt, sieht sich schon bald mit Problemen konfrontiert, die Jägern und Sammlern unbekannt sind. Vielleicht ist die biblische Geschichte von Kain, der seinen Bruder Abel erschlägt, eine Parabel auf die Konflikte, die sesshafte Ackerbauern und nomadische Viehzüchter miteinander austragen, wenn das Vieh die Felder abfrisst oder zertrampelt. Mit persönlichem Besitz entsteht erstmals auch materielle Ungleichheit zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft. Das verdichtete Zusammenleben bedeutet zudem, dass Krankheiten wie Pocken, Masern, Tuberkulose, Grippe und Pest von domestizierten Tieren auf den Menschen übergehen und ihn von nun an ständig begleiten werden.
Der neuer Weg ist ohne ein Zurück
Ob jene, die versuchen, die Natur zu zähmen, die Wette gewinnen werden, ist anfangs alles andere als gewiss. Die Arbeit auf den Feldern ist anstrengender, langwieriger und ungesünder als das Jäger- und Sammlerleben. Die menschliche Anatomie ist darauf ausgerichtet, lange durch die Savanne zu laufen und nicht, mit gekrümmtem Rücken Äcker zu bestellen. Die Kost der Landwirte ist eintönig und die Zucker der Süßgräser, die nun Proteine und Obst ersetzen, sind schlecht für die Zähne. Der Mensch isst sein Brot im Schweiße seines Angesichts, ein von Wind und Wetter abhängiger Diener des Getreides, für den Missernten den Hungertod bedeuten können. Wahrscheinlich ist die Lebenserwartung der ersten Bauern kürzer als die der umherziehenden Wildbeuter.
Doch für jene, die sich auf die neue Lebensweise einlassen, gibt es kein Zurück. Die wachsende Bevölkerung zwingt sie, dem Land immer höhere Erträge abzutrotzen. Die Bebauung vorhandener Felder wird intensiviert, immer neue Flächen werden unter den Pflug genommen. Äcker, Weiden, Dörfer, Wege, Zäune und Gräben verändern die Landschaft. Das stabile Klima der Warmzeit, Erfahrung und verbesserte Anbaumethoden machen die Ernteerträge mit der Zeit berechenbarer. Kommt es zu Auseinandersetzungen mit benachbarten Jägern und Sammlern, sind die bäuerlichen Gemeinschaften nun meist allein schon zahlenmäßig überlegen.
Die neue Überlebensstrategie wird zum Erfolgsmodell. Nach Euphrat und Tigris entstehen auch am Nil, Indus, Jangtsekiang und Gelbem Fluss landwirtschaftliche Kulturen. Von Anatolien aus gelangt die neue Lebensform nach Südosteuropa. Zu Rindern und Schafen gesellen sich mit der Zeit Pferde, Esel, Kamele und Wasserbüffel. Die großen Säugetiere liefern nicht nur Milch und Fleisch, sondern leisten den Menschen mit ihrer Muskelkraft auch bei Feldarbeit und dem Transport schwerer Lasten unschätzbare Dienste.
Technologiesprünge
Die Erfindung der Keramik vor 8.000 Jahren erlaubt es, Getreide lange und sicher zu lagern. Vor 7.000 Jahren ergibt sich daraus der nächste Technologiesprung: Das Brennen von Ton hat die Menschen gelehrt, sehr hohe Temperaturen zu erzeugen. Dabei entdecken sie zufällig, dass sich damit auch Kupfer aus dem Gestein lösen lässt. Schon bald entstehen auf dem Balkan und in der Wüste Negev Minen für den neuen Werkstoff.
Die aus Anatolien stammenden Ackerbauern haben zu dieser Zeit die einheimischen Jäger- und Sammlergemeinschaften Süd- und Mitteleuropas bereits fast vollständig verdrängt. Nun kommt es zu einer weiteren Massenimmigration: Angehörige der viehzüchtenden Jamnaja-Kultur, ursprünglich nördlich des Schwarzen Meeres beheimatet, lassen sich in Mittel- und Nordeuropa nieder. Die Nomaden aus dem Osten – sie verfügen über ein Enzym, das es ihnen erlaubt, Milchzucker problemlos zu verdauen – vermischen sich mit den anatolischen Ackerbauern und den wenigen noch im Norden des Kontinents verbliebenen Wildbeutern. Eine weitere Wanderbewegung der Jamnaja führt nach Südosten in den Iran und ins nördliche Indien. Aus der Ursprache der Pastoralkultur vom Schwarzen Meer entstehen durch geographische Isolation nach und nach die verschiedenen Indoeuropäischen Sprachen.
Im Zweistromland und am Nil entwickeln sich vor 6.000 Jahren die ersten Hochkulturen, komplexe, hierarchische Gesellschaften mit zentralen Verwaltungsstrukturen. Teile der Bevölkerung leben nun in Städten in denen sich mit der Zeit Berufe und ein grundlegendes Verständnis von Astronomie, Geometrie und Arithmetik entwickeln. Erste piktographische Schriften entstehen. Die Erfindung des Rads revolutioniert das Transportwesen und ausgeklügelte Bewässerungssysteme erhöhen die landwirtschaftliche Produktivität.
Vor 5.000 Jahren kommt es zur nächsten wichtigen technologischen Neuerung: Die Kupferschmiede entdecken, dass eine kleine Beimischung von Zinn eine harte Legierung entstehen lässt: Bronze. Die daraus gefertigten Werkzeuge und Waffen sind zwar spröde, aber sehr hart und stumpfen daher nicht so schnell ab wie die Kupfergerätschaften.
Der animistische Spiritualismus der Jäger und Sammler ist polytheistischen Religionen gewichen. Die neuen Götter fordern von den Menschen Verhaltensweisen, die dem Zusammenleben dienlich sind. Religion ist ein Herrschaftsinstrument geworden, der Herrscher selbst wird zu einer göttlichen Gestalt. Zu seinen Ehren werden monumentale Bauten errichtet, die von einem außerordentlichen Verständnis von Geometrie, Ingenieurskunst und Arbeitsorganisation zeugen. Fähigkeiten, die es nun auch erlauben, Kriege gegen die Nachbarn zu führen; Gefangene werden versklavt – der Mensch hat den Menschen zu einer Ware und sich selbst zu seinem größten Feind gemacht.
Weitere Hochkulturen entstehen um 2.800 v. Chr. entlang des Indus und um 2.200 v. Chr. in China zwischen Gelbem Fluss und Jangtsekiang. Im 2. vorchristlichen Jahrtausend erblüht in Kleinasien das Reich der Hethiter, die erste Hochkultur, abseits eines großen Flusses. Auf Kreta entsteht mit der Minoischen Kultur die erste europäische Zivilisation. Die Achäer - sie sprechen wie die Hethiter eine indoeuropäische Sprache - errichten bald danach auf dem Peloponnes die Mykenische Kultur, die erste Hochkultur auf dem europäischen Festland.
Dunkle Zeiten
Um 1.200 v. Chr. vollzieht sich im östlichen Mittelmeerraum innerhalb weniger Jahrzehnte ein apokalyptischer Umbruch. Die Städte der Hethiter, Mykener und Minoer werden zerstört, ihre Kulturen verschwinden fast über Nacht im Dunkel der Geschichte – vielleicht hat der Mythos um die Stadt Troja in diesen Ereignissen seinen Ursprung.
An Euphrat und Nil verlieren die babylonischen Könige und die ägyptischen Pharaonen an Macht und Einfluss. Die Gründe für den drastischen Wandel bleiben rätselhaft. Die Ereignisse fallen jedoch mit einer werkstofflichen Revolution zusammen, die sich zu dieser Zeit in der Region vollzieht: Die Menschen beginnen Eisen zu verhütten, ein neues Material, dessen Eigenschaften denen der brüchigen Bronze weit überlegen sind.
Die Zeit zwischen 1.150 und 750 v. Chr. sind „Dunkle Jahrhunderte“, über deren Verlauf wir nur wenig wissen. Während sich die neue Eisentechnologie auf dem eurasischen Kontinent ausbreitet, zerfallen die ehemaligen Metropolen des Nahen Ostens und Südosteuropas. Ab dem späten 9. Jahrhundert v. Chr. beruhigt sich die Situation. Im Gebiet des heutigen Libanon tritt das semitische Volk der Phönizier in Erscheinung. Sie fahren zur See, treiben Handel und errichten im Mittelmeerraum ein Netz von Siedlungen. Mit ihren Schiffen gelangt auch die revolutionäre phönizische Alphabetschrift nach Griechenland und Italien.
Die neue Schrift wird auch von den südlich des phönizischen Siedlungsgebiets lebenden Judäern übernommen. Dort trägt sie dazu bei, eine Idee zu verbreiten, die großen Einfluss auf die Geschicke eines wesentlichen Teils der Menschheit haben wird: Jüdische Gelehrte zeichnen ihre alten religiösen Überlieferungen auf. Wie alle Religionen kennen auch sie einen Schöpfungsmythos und eine Beschreibung der Menschheitsgeschichte, mehr oder weniger verschüttete Erinnerungen an die Entwicklung seit dem Neolithikum. Doch in einem zentralen Punkt unterscheidet sich die Religion der Juden von denen ihrer Nachbarn: Sie glauben an nur einen einzigen Gott.
Wer mehr wissen will:
Krause, Johannes / Trappe Thomas (2021): „Hybris – Die Reise der Menschheit zwischen Aufbruch und Scheitern“, Propyläen.
Vernot, Benjamin et al. (2016): „Excavating Neandertal and Denisovan DNA from the genomes of Melanesian individuals” in: Science, Band 352 Nr. 6282, S. 235–239.
Haak, Wolfgang et al. (2015): „Massive migration from the steppe was a source for Indo-European languages in Europe” in: Nature, 522.
Diamond, Jared (2006): „Arm und Reich: Die Schicksale menschlicher Gesellschaften“, Fischer.
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