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Eine kurze Geschichte der Vermessung der Welt

Antike Weltvermessung

Der Drang der Menschen, die Erde vermessen zu wollen, lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen. Bereits damals wurde klar, dass unser Planet eine Kugelgestalt hat, und es ist ein hartnäckiger Mythos, dass gebildete Menschen im Mittelalter jemals etwas anderes geglaubt haben. Bereits Aristoteles hat in seinen Schriften „Über den Himmel“ (de caelo) und „Meteorologica“ drei gewichtige Argumente angeführt, warum dem so sein muss:


  • Bei einer Mondfinsternis ist die Projektion des Erdschattens auf dem Trabanten immer eine kreisrunde Fläche. Eine Scheibe hingegen würde in bestimmten Winkeln einen elliptischen oder abgeflachten Schatten werfen.

  • Wenn man nach Süden reist, sieht man am Nachthimmel neue Sterne aufgehen, während die Sterne des Nordens verschwinden. Das ist nur möglich, wenn man sich auf einer gekrümmten Oberfläche bewegt.  

  • Bei Schiffen, die sich vom Betrachter entfernen, verschwindet am Horizont zuerst der Rumpf, während die Segel noch sichtbar sind; auch dies erklärt sich nur durch eine gekrümmte, kugelförmige Oberfläche.


Aristoteles war damit der Erste, der die Kugelgestalt der Erde systematisch mit überprüfbaren Beobachtungen begründete. Rund hundert Jahre später sollte Eratosthenes, der langjährige Leiter der Bibliothek von Alexandria, den Erdumfang experimentell mit verblüffender Genauigkeit bestimmen. Wie war ihm das möglich? Eratosthenes nahm an, dass die Stadt Syene, im Süden Ägyptens, und Alexandria auf derselben Nord-Südachse liegen. Ein solcher Längengrad ist auf einer Kugel ein gedachter Halbkreis, der die beiden geographischen Pole der Erde miteinander verbindet. Der Abstand zwischen den beiden von ihm jeweils in Alexandria und Syene festgelegten Messpunkten wurde wahrscheinlich von amtlichen Schrittzählern ermittelt, die auf eine Distanz von 5000 Stadien kamen, einem von den Griechen verwendeten antiken Längenmaß.


Fantasie Renaissance-Portrait im Profil; schwarzweiß, Glatze, Bart
Eratosthenes - niemand weiß, wie er wirklich aussah

Eratosthenes stellte in Syene und in Alexandria jeweils einen Holzstab auf. Am Mittag des Tags der Sommersonnenwende warf der Stab in Syene keinen Schatten, da die Sonne in diesem Moment direkt über ihm im Zenit stand. In Alexandria warf der Stab zum gleichen Zeitpunkt jedoch einen Schatten, der den fünfzigsten Teil eines Vollkreises vom Zenit entfernt war. Die Entfernung zwischen Alexandria und Syene entsprach demnach einem fünfzigstel des Erdumfangs, woraus sich ein gesamter Erdumfang von 50 x 5000 = 250.000 Stadien ergibt.






Das Prinzip von Eratosthenes' Erdvermessung graphisch dargestellt
Eratosthenes' Erdvermessung

Nun wissen wir heute nicht genau, wie ein Stadion zur Zeit von Eratosthenes normiert war. Wenn wir aber unterstellen, dass die Entfernung zwischen den beiden Stäben genau ausgemessen wurde (sie beträgt Luftlinie 835 km), dann muss ein Stadion 167 Metern entsprochen haben (ein Wert, der einigermaßen mittig im Bereich der vermuteten historischen Stadionlängen liegt). Daraus ergäbe sich ein Erdumfang von 41.750 km, eine Zahl, die dem tatsächlichen Wert von 40.008 km bemerkenswert nahekommt.[i] 

 

Phantastische Gewinne

Rund 1700 Jahre später, an der Wende zur Neuzeit, befuhren portugiesische Seefahrer wie Diogo Cão und Bartolomeu Dias in den 1480er Jahren die Westküste Afrikas auf der Suche nach einem östlichen Seeweg nach Indien. Von dort kamen die teuren exotischen Gewürze, die arabische Händler bisher auf dem Landweg nach Europa brachten. Indien per Schiff zu erreichen und so die arabischen Zwischenhändler auszuschalten, verhieß phantastische Gewinne. Auf ihren Erkundungsfahrten folgten die Portugiesen der afrikanischen Küstenlinie und orientierten sich dabei vor allem mit Hilfe von Portolankarten, in denen entlang der Küstenlinien Landmarken, Strömungen und Untiefen eingezeichnet waren. 1498 fand so Vasco da Gama als Erster den Seeweg, der um Afrika herum nach Indien führte.

Renaissanceprotrait von da Gama - schwarze Mütze, großer, weißer Bart
Vasco da Gama - segelte nach Osten

Bereits sechs Jahre vor Vasco da Gama versuchte der findige Seefahrer Christoph Kolumbus zunächst erfolglos, den König von Portugal und später erfolgreich das spanische Königspaar, von seiner Idee zu überzeugen, dass sich Japan, China und Indien aufgrund der Kugelgestalt der Erde viel schneller erreichen ließen, wenn man statt ostwärts um Afrika herum, einfach nach Westen segelt. Seine Berechnungen enthielten allerdings eine Reihe von Fehlern, die sich auf eine fatale Weise addierten: Kolumbus stützte sich auf die Angaben des arabischen Gelehrten al-Farghānī, der im 9. Jahrhundert lebte. Al-Farghānī gab, wahrscheinlich auf der antiken Überlieferung beruhend, den Erdumfang sehr genau an – allerdings in arabischen Meilen, die Kolumbus für die wesentlich kürzeren römischen Meilen hielt. Zudem überschätzte der Genuese die Länge Asiens deutlich und kam so zu den Schluss, dass Japan westwärts nur 4.000 bis 5.000 Kilometer entfernt liegen müsse. Die tatsächliche Entfernung hatte er damit um mindestens 15.000 Kilometer unterschätzt. Läge zwischen Europa und Japan nicht ein ganzer Kontinent, nur 5.300 Kilometer von den Kanaren entfernt, so hätten wir wohl nie wieder etwas von Kolumbus gehört.


Eine Portolankarte
Mit den Portolanen hangelte man sich noch an den Küstenlinien entlang

 

Renaissance Portrait von Kolumbus, Schwarz und grau sind  die dominierenden Farben
Christoph Kolumbus - segelte nach Westen

Navigation als Überlebensfrage

Die iberischen Seefahrer hatten das Zeitalter der Entdeckungen eingeleitet, ein wesentliches Merkmal der nun beginnenden Neuzeit. Nachdem sich zuvor nur wenige Mutige auf das offene Meer gewagt haben (wir wissen von den Fahrten der Wikinger bis nach Grönland und Neufundland, sowie von den Expeditionen des chinesischen Admirals Zheng He zwischen 1405 und 1433, die ihn bis an die ostafrikanische Küste führten), wurde nun die Aussicht auf fantastische Profite die Triebfeder unzähliger Europäer: Im Osten kaufte man Gewürze, Seide und Porzellan ein, im Westen gab es einen ganzen neuen Kontinent, der nur darauf zu warten schien, ausgebeutet zu werden. Zu den Portugiesen und Spaniern gesellten sich nach und nach Niederländer, Franzosen und Engländer – selbst Schweden gründete 1626 eine Ostindien-Kompanie.


Das Navigieren fernab der Küsten auf den gewaltigen Wassermassen von Atlantik, Indischem Ozean und Pazifik war nun zu einem zentralen Problem geworden und oft genug war es für die Seeleute auch eine Überlebensfrage. Wie konnte man die Zielhäfen auf den andern Kontinenten ansteuern, wie die aktuelle Position bestimmen? Wie ließen sich die neuen Küsten und Inseln, Strömungen und gefährlichen Riffe kartographieren?

Bereits Eratosthenes hatte ein Koordinatensystem entworfen, mit dem sich beliebige Positionen auf der Erdoberfläche exakt bestimmen ließen. Es besteht einerseits aus parallel verlaufenden Ringen, den Breitengraden, deren mittlerer Kreis, der Äquator, die Erde in eine Nord- und Südhalbkugel teilt, sowie Meridianen oder Längengraden, gedachten Halbkreisen, die Nord- und Südpol miteinander verbinden. Das erste bekannte neuzeitliche Modell eines solchen Globus mit Breiten- und Längengraden verdanken wir dem Nürnberger Kaufmann Martin Behaim, der im Auftrag des Rats seiner Stadt um 1492 lokale Handwerker zur Herstellung des Modells anwies. Behaims Globus zeigt dieselbe Vorstellung von der Welt, die im gleichen Jahr auch der sich in Indien wähnende Kolumbus hatte: Amerika fehlt und der Erdumfang ist deutlich zu klein bemessen.


Behaims Globus im Vordergrund Afrika - gelb auf einen dunkeltürkisen Meer
Martin Behaims Erdapfel von 1492

 

Breitengrade brauchen nur etwas Astronomie

Wie konnten nun Seeleute aber mit Hilfe des Koordinatensystems ihre Position bestimmen und Küstenlinien kartografieren? Eine hinreichend genaue Bestimmung des Breitengrads, auf dem man sich gerade befand, hatten die Portugiesen bereits Ende des 15. Jahrhunderts entwickelt. Die Methode war relativ einfach und beruhte auf der Messung des Standes von Himmelskörpern. Der Äquator war der Breitengrad Null. Hier ist die Erde, wenn man sie seitlich betrachtet, am breitesten. Die Strecke bis zum Nordpol wird in 90 Breitengrade eingeteilt; ebenso die Strecke bis zum Südpol. Der Abstand zwischen zwei der insgesamt 180 Breitengrade beträgt somit ziemlich genau 111 km. Für genauere Bestimmungen gibt es ein feinmaschigeres Gradnetz, das den Abstand zwischen zwei Breitengraden noch einmal in 60 Minuten und die Minuten wiederum in Sekunden einteilt. Diese Konventionen hatte im Prinzip bereits der Grieche Claudius Ptolemäus um das Jahr 150 n. Chr. entwickelt.

Misst man nun exakt zur Mittagszeit, wenn die Sonne ihren Höchststand hat, den Winkel, den die Sonne vom Betrachter aus gesehen über dem Horizont bildet, lässt sich die geographische Breite leicht ermitteln. An den beiden Tagundnachtgleichen steht die Sonne am Äquator genau im Zenit, also 90° über dem Horizont. Misst man an einem dieser Tage beispielsweise einen Winkel von 30° über dem Horizont, kann man die Parallele, auf der man sich gerade befindet, leicht errechnen: Breitengrad = 90°−30°= 60°.

An anderen Tagen wandert der Zenitpunkt der Sonne allerdings aufgrund der Neigung der Erdrotationsachse von 23,5° zwischen den Wendekreisen. Der nördliche Wendekreis, der Wendekreis des Krebses, ist somit der 23,5°nördliche Breitengrad (Zenitpunkt um den 21. Juni); der südliche Wendekreis des Steinbocks liegt auf 23,5° südlicher Breite (Zenitpunkt um den 21. Dezember). Der Effekt dieser so genannten Sonnendeklination muss an allen Tagen, die keine Tagundnachtgleichen sind, bei der Berechnung hinzugefügt oder abgezogen werden. Nachts konnte man auf der Nordhalbkugel die Höhe des Polarsterns messen, von dem man wusste, dass er fast exakt im Norden steht. Auf der Südhalbkugel konnte man entsprechend andere Sterne anpeilen, deren Position bekannt war, insbesondere das Kreuz des Südens, das zumindest in etwa die Richtung des Südpols angibt.

Seefahrer peilt mit einem kreuzförmigen Navigationsinstrument
Englischer Seefahrer mit Jakobsstab 1672

Zu Zeiten der portugiesischen und spanischen Entdecker benutzte man als Instrument zur Höhenwinkelmessung eine einfache Konstruktion, den Jakobsstab. Erst um 1730 wurde er vom deutlich genaueren Sextanten abgelöst.

 

Der vermaledeite Längengrad

Wesentlich schwieriger war es, den Längengrad zu bestimmen. Denn dieser hängt, nicht wie der Breitengrad, vom Ort ab, sondern von der Zeit. Da die Erde in etwa 24 Stunden eine 360°-Pirouette vollzieht, entspricht 1 Stunde 15 Längengraden. Der Zeitunterschied kann also sehr einfach in einen geographischen Abstand übersetzt werden. Während der Äquator eine naheliegende natürliche Nullbreite darstellt, die Nord und Süd definiert, ist die Bestimmung einer Referenzlinie, die die Erde in eine West- und Osthälfte teilt, rein willkürlich. Üblicherweise nahm man dafür die Lage des führenden Observatoriums verschiedener Länder. Der französische Nullmeridian verlief durch Paris, der spanische durch Madrid, der russische nahe bei Sankt Petersburg und der britische durch London, wo sich die Sternwarte im Stadtteil Greenwich befand. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde dieser aufgrund der führenden Stellung der Briten in der Seefahrt zu dem noch heute gültigen internationalen Standard.


Schematische Darstellung der Längengrade
Anders als die Breitengrade verlaufen die Längengrade nicht parallel

Das praktische Problem der Längengradbestimmung bestand ganz einfach darin, dass es keine Uhr gab, die sich auf See mitführen ließ und die zuverlässig zur lokalen Mittagszeit die Referenzzeit des jeweiligen Nullmeridians anzeigen konnte. Feuchtigkeit, salzige Luft, Seegang und Temperaturschwankungen setzten den einfachen Sand- oder Pendeluhren so zu, dass an eine hinreichend genaue Zeitbestimmung keinesfalls zu denken war. Ebenso unmöglich war es Geschwindigkeit und Richtung des Schiffes über längere Zeiträume hinweg zuverlässig zu messen. Man wusste also ziemlich genau wie weit nördlich oder südlich man sich befand, nicht aber wie weit westlich oder östlich.


Die Unmöglichkeit der exakten Ortsbestimmung auf See war ein gewaltiges Problem. Weder konnte man die Untiefen exakt in Seekarten einzeichnen, noch war es möglich, Entfernungen und die Lage von Küstenlinien und Inseln hinreichend genau zu bestimmen. Infolgedessen liefen zahlreiche Schiffe auf Riffe oder Sandbänke. Die Navigatoren wussten schlichtweg nicht, wo genau sie sich gerade befanden. Entsprechend waren die See- und Weltkarten in Ost-West-Richtung meist deutlich verzerrt.


Der Nürnberger Astronom Johannes Werner entwickelte im 16. Jahrhundert eine Lösung, bei der der Winkel zwischen Mond und Sternen gemessen wurde, um die Zeit zu bestimmen – die sogenannte Lunardistanzmethode. Praktisch scheiterte sie an der ungenauen Messung und der Unzuverlässigkeit der damaligen Instrumente. Auch die Methode, die Bewegung der Jupitermonde als eine Art himmlische Uhr zu nutzen, die Galileo Galilei rund 100 Jahre später vorschlug, war auf dem schwankenden Deck eines Segelschiffs praktisch nicht durchführbar.


Vor diesem Hintergrund lobte das englische Parlament im Jahre 1714 eine Prämie von 20.000 Pfund aus für denjenigen, der das Problem der exakten Längengradbestimmung lösen konnte – ein Betrag, der nach heutiger Kaufkraft etwa 3,5 Millionen Euro entspricht. Sicher kein schlechter Anreiz. Bei der Festlegung der Erfolgskriterien für das Preisgeld hatte das Parlament namhafte Wissenschaftler wie Issac Newton und Edmond Haley zu Rate gezogen. Die Höhe des Preisgelds war nach dem Genauigkeitsgrad der Zielerreichung gestaffelt.

 

Die Uhr, die das Meer bezwang - die unglaubliche Geschichte des John Harrison

Letztlich erwiesen sich alle auf „kosmischen“ Uhren“ beruhende Vorschläge gestandener Astronomen als nicht praktikabel. Dann nahm Mitte der 1720er Jahre der gelernte Tischler und autodidaktische Uhrmacher John Harrison die Herausforderung an. Sein Ansatz war es, eine extrem genaue und zugleich robuste Uhr für die Seefahrt zu bauen. Im Laufe der Jahre gelang es ihm drei entscheidende Verbesserungen einzuführen, um seine mechanischen Uhren seegängig zu machen.


Portrait von Harrison. Ein älterer erst blickender Mann mit Perücke in einem braunen Rock; ein seiner rechten Hand eine kleine Uhr
Tischler, Uhrmacher, Genie: John Harrison machte Uhren seegängig

Er hatte erstens erkannt, dass sich die Metallteile in den Uhren in Abhängigkeit von den Temperaturschwankungen ausdehnen oder zusammenziehen. Dafür konstruierte er spezielle Eisen- und Messingstäbe, deren unterschiedliche Ausdehnung sich gegenseitig aufhob. Zweitens erfand er die so genannte Grashüpfer-Hemmung bei dem der Gang durch ein Zahnrad aus einem speziellen Holz gesteuert wird, das die besondere Eigenschaft besitzt, sich selbst schmieren zu können und so fast reibungsfrei zu laufen – Metallzahnräder hatten das Problem, dass das Schmieröl mit der Zeit verharzte und damit die Reibung erhöhte. Drittens fand er einen Ersatz für das traditionelle Uhrenpendel, das auf einem rollenden und stampfenden Schiff freilich nicht funktionieren konnte: Er verband zwei Unruhen durch eine Feder, eine Konstruktion, die sich von den Schaukelbewegungen nicht mehr beeinflussen ließ.

Harrisons erste U hr
Harrisons erstes Marinechronometer

Harrison präsentierte der Kommission seinen Entwurf im Jahr 1730. Eine erste Probefahrt nach Lissabon verlief vielversprechend, erfüllte aber immer noch nicht die scharfen Bedingungen der Ausschreibung, die einen Test bei einer Transatlantikfahrt verlangte. In den folgenden Jahrzehnten arbeitete Harrison laufend an der Verbesserung seiner Ideen, bis er 1759 das bahnbrechende vierte Modell vorstellte. Bei einer Reise nach Jamaika wies diese Version bei der Rückkehr nach fast drei Monaten eine Abweichung von weniger als zwei Minuten auf.  

 

Zeitgenössisches Portraitgemälde von Cook -  dunkelblaue Uniformjacke, vor ihm eine Seekarte, rechts neben ihm ein Dreispitz
Lobte Harrisons Uhr in den höchsten Tönen: James Cook

Der Streit um das Preisgeld

Dennoch tat die vom Parlament eingesetzte Kommission das Ergebnis als zufällig ab und weigerte sich, das volle Preisgeld auszuzahlen. In der Prüfkommission dominierten namhafte Astronomen, die der Chronometer-Idee grundsätzlich skeptisch gegenüberstanden. Auch dürfte Standesdünkel eine Rolle gespielt haben – schließlich war Harrison „nur“ ein Handwerker, ohne akademische Weihen. Trotz überragender Ergebnisse erhielt Harrison in den 1760er Jahren nur Teilauszahlungen. Erst 1773, im Alter von 80 Jahren, bekam er auf persönliche Intervention des englischen Königs George III, eine Prämie von 8.750 Pfund, die das Parlament als Anerkennung seiner Verdienste bewilligte – die eigentliche Kommission hatte die Auszahlung bis zum Schluss verweigert.

 

Der König; kräftig gebaut, mit weißer Perücke und karminroter Uniformjacke
Setze sich für Harrison ein: George III

Welche Form hat die Erde?

In seinem Buch „Die Vermessung der Welt“ beschreibt der Romanautor Daniel Kehlmann, wie Alexander von Humboldt von spanischen Padres im Regenwald von einer französischen Expedition hört, die einige Jahrzehnte zuvor hier vorbeigekommen war, um „aus ästhetischen Gründen vor allem Newtons unschöne These“ zu widerlegen, „dass die Erde sich durch Rotation abplatte“, und somit keine perfekte Kugel sei. Die Geschichte hat mich neugierig gemacht, und ich habe ein bisschen recherchiert. Hingen die Franzosen hier tatsächlich einem platonischen Ideal an? Kehlmann hat sich ein paar literarische Freiheiten genommen, aber die Geschichte hat einen wahren Kern. Isaac Newton hatte tatsächlich im frühen 18. Jahrhundert besagte These aufgestellt. Dem hielten französische Wissenschaftler wie der sich auf René Descartes berufende Astronom Jacques Cassini die These entgegen, die Erde habe tendenziell mehr eine Ei-Form und laufe, ganz im Gegenteil zu Newtons These, an den Polen spitz zu.[ii] 


Die Frage der exakten geometrischen Form der Erde war für die Kartographie von zentraler Bedeutung. Der französische König Ludwig XV, schickte daher zwei Expeditionen los: Pierre Louis Moreau de Maupertuis wurde beauftragt in Lappland Messungen des Abstands zweier Breitengrade vorzunehmen; eine andere Gruppe um Charles Marie de La Condamine sollte entsprechende Messungen in Südamerika am Äquator durchführen. Wäre die Erde eine Kugel, so wären die Abstände zwischen den Breitengraden überall gleich, also bei besagten 111 km. Hätte Newton recht und der Äquator wäre vom Erdmittelpunkt weiter entfernt als die Pole, müsste wegen der flacheren Krümmung der Abstand zwischen zwei Breitengraden dort geringer sein als weiter im Norden. Die beiden Franzosen waren zwischen 1736 und 1743 unterwegs und konnten schließlich mit ihren Messungen die These des großen Engländers bestätigen (Anders als in Kehlmanns Roman war La Condamine weder Kritiker der Newton’schen These, noch konnte er freilich seine Vermessungen im Urwald vornehmen – vielmehr musste er hierzu die Anden nahe Quito besteigen).     

 

Portraitgemälde des forscher; brauner Rock; weiße Perücke
Charles Marie de La Condamine 1753

Die Erfindung des Meters

Franzosen waren es auch, die während der Französischen Revolution das uns heute vertraute Metrische System mit Meter, Kilogramm und Liter erschufen, das infolge seinen weltweiten Siegeszug antreten konnte. Anders als die bislang etablierten lokalen und regionalen Maßsysteme, die sich wie Zoll, Elle, Fuß oder Yard oftmals aus Körperteilen ableiteten, sind im metrischen System alle Einheiten konsequent dezimale Teile oder Vielfache der Basiseinheit. Der Meter, als Basiseinheit für die Länge, wurde, dem französischen Rationalismus folgend 1793 als der zehnmillionste Teil der Entfernung zwischen Äquator und Nordpol definiert – selbstverständlich basierend auf dem Meridian-Abschnitt, der durch Paris verlief.

 

Der geniale Einfall des Herrn Mercator – und sein Preis

Gehen wir noch einmal zurück in die Renaissance und betrachten einen ganz anderen Aspekt der Vermessung der Welt. 1569 gelang nämlich dem aus Flandern eingewanderten Duisburger Gerhard Mercator ein ganz besonderer Coup. Er erschuf eine Weltkarte, die die gekrümmte dreidimensionale Erdoberfläche auf eine zweidimensionale Karte übertrug. Dazu stülpte er einen Zylinder über die Erdkugel, dessen Mitte die Kugel genau am Äquator berührte. Anschließend übertrug er die Küstenlinien und Ländergrenzen von der Kugel auf den Zylinder. Rollt man den Zylinder auf, hält man eine rechteckige Weltkarte in den Händen – jener Blick auf unseren Planeten, der uns heute am meisten vertraut ist.

Seefahrer hatten damit nun praktikable Karten, die es den Navigatoren erlaubten, den Kurs des Schiffes einfach mit einem Lineal einzuzeichnen. Das Ganze hatte allerdings seinen Preis: Durch Mercators Methode vergrößerten sich die Breiten, je näher sie den Polen kamen. Dadurch verzerrten sich die Flächen je weiter sie vom Äquator entfernt waren.

Der Vergleich zwischen Afrika und Grönland macht das Problem deutlich: Auf Mercators Karte erscheint die Insel in Norden als fast gleichgroß wie der Kontinent Afrika. In der Realität aber ist Afrika rund 14-mal größer als Grönland. Die Verzerrung ist tatsächlich ziemlich dramatisch.       

 

Zweidimensionale Darstellung der Erdoberfläche
Mercators Projektion
Grönland und Afrika liegen übereinander - links sind sie beide etwa gleichgross, rechts ist Grönland 14-mal kleiner
Hier sieht man das Problem, das Mercator uns bescherte...

Positionsbestimmung heute        

Während ich diese Zeilen schreibe, befinde ich mich übrigens gerade auf 47,61° N und 7,50° E. Das heißt einigermaßen zwischen dem 47. und dem 48. nördlichen Breitengrad und zwischen dem 7. und 8. Längengrad östlich von Greenwich.  

Wenn ich jetzt über Handy meinen Standort teile, werden genau diese Koordinaten übermittelt. Die Ortsbestimmung per GPS gibt es heute auf jedem Mobiltelefon. Sie erfolgt mithilfe von Satelliten, die in etwa 20.000 km Höhe die Erde umkreisen. Dabei wird ein Aspekt von Raum und Zeit berücksichtigt, den wir erst seit 120 Jahren kennen. 1905 verhalf uns Albert Einstein mit seiner speziellen Relativitätstheorie zu der Erkenntnis, dass die Zeit davon abhängt, wie schnell man sich bewegt; zwölf Jahre später veröffentlichte er seine allgemeine Relativitätstheorie, die besagt, dass auch die Schwerkraft die Zeit beeinflusst. Dies müssen die GPS-Satelliten berücksichtigen: Sie bewegen sich schnell und auf sie wirkt eine deutlich geringere Schwerkraft als auf der Erdoberfläche.

Fotografie von Einstein aus den 1920er Jahren
Ohne diesen Herren würde unser GPS nicht funktionieren

Bedingt durch ihre Geschwindigkeit gehen die Atomuhren in den Satelliten ca. 7 Mikrosekunden pro Tag langsamer; durch die geringere Erdanziehung hingegen gehen sie etwa 45 Mikrosekunden pro Tag schneller. Würde GPS diesen Saldo von 38 Mikrosekunden nicht berücksichtigen, läge die Positionsbestimmung bereits nach einem Tag schon mehrere Kilometer daneben.     

 

Ein letzter, ganz und gar subjektiver Blick auf die Vermessung der Welt

Nicht nur Gerhard Mercator hat dafür gesorgt, dass wir ein ziemlich verzerrtes Bild von der Welt haben. Wir haben auch ganz persönliche durch Erfahrung, Wissen, Kultur, Emotionen oder Medien geprägte innere Vorstellungen der Geographie, die von der physischen Realität weit entfernt sein können: der Norden ist immer oben, obwohl es auf einer Kugel kein Oben und Unten gibt; wir sind es gewohnt, Europa immer in der Mitte zu sehen. Aber natürlich ist eine Karte bei der Süden oben ist und China und Australien im Zentrum stehen genauso richtig.


Weltkarte bei der Australien oben in in der Mitte ist
Die Welt steht Kopf - warum auch nicht?

Mein ganz persönlicher Kompass sagt mir, dass für mich der Norden bei Hannover beginnt; für jemand anderen mag dies mit Frankfurt am Main, Benrath, Kassel, Buxtehude, Hamburg oder Kopenhagen verbunden sein; von Goethe wissen wir, dass er gesagt haben soll, dass Italien an der hessischen Bergstraße beginnt – das ist unsere gefühlte Geographie.

 

Wer mehr wissen will:

Aristoteles über die Kugelgestalt der Erde – De caelo II, 14

Kehlmann, Daniel (2006): „Die Vermessung der Welt“, rohwolt

Aristoteles in Meteorologica II, 5

 

Bildnachweise:


[i] Eine kleine  Ungenauigkeit ergibt sich auch aus der Tatsache, dass Syene nicht exakt auf demselben Längengrad liegt, wie Alexandria.

[ii] Nach Cassini und dessen Vater Domenico wurde ein Mondkrater benannt; Domenico Cassini ist zudem Co-Namensgeber der Cassini-Huygens-Raumsondenmission zum Planeten Saturn. 

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